Treffen der Generationen
Stationen eines Mäuselebens
In „Die jungen Jahre von Micky“ entführt der 1972 in Caen geborene Künstler Tebo die Leser in Abenteuer, die einer längst vergangenen Zeit entsprungen scheinen. Mit dem Kniff, einen gealterten Micky als Erzähler fungieren zu lassen, schlägt er gekonnt die Brücke zwischen den Generationen.
Mickys Urgroßneffe Norbert (wer nennt sein Mäusekind denn heute noch Norbert?) kommt zu Besuch und Disneys Aushängeschild Nr.1 nutz die Gelegenheit, einige ausgeschmückte und aberwitzige Stationen aus seinem Leben aus dem Geschichtenhut zu zaubern. So führen uns seine haarsträubenden Exkursionen zuerst in den wilden Westen, wo der gewiefte Mäuserich dem Goldrausch verfällt. Danach geht es in den Dschungel, wo Micky neben Kater Karlo auch erstmals auf seine große Liebe Minnie trifft, mit der er erfreulicherweise auch noch im hohen Alter liiert ist. Anschließend fungiert er als Friedensbotschafter, der einer abgeschnittenen Einheit vom Ende des ersten großen Krieges berichten soll, da jeglicher Kontaktversuch gescheitert ist. Mickys Flugerfahrung qualifiziert ihn für diese Aufgabe, die sich natürlich einfacher anhört, als sie letztendlich wird… denn auch hier versucht ein alter Bekannter Steine in den Weg zu legen. Im nächsten Abenteuer eröffnet der listige Nager nach einem vom Präsidenten verordneten Schokoladen-Verbot einfach seine eigene, illegale Schoko-Fabrik, bevor es ihn in der letzten Geschichte auf den Mond führt. Für diesen kosmischen Abstecher hat Micky den idealen Begleiter… den cholerischen Erpel Donald, der auch hier wieder seine kurze Zündschnur unter Beweis stellt.
Alt und trotzdem neu - Klassisch und doch modern
Tebo gelingt das Kunststück, uns mit seiner Hommage einerseits im vertrauten, klassischen Stil zu unterhalten, sich auf der anderen Seite aber auf ein optisch modernes Terrain zu begeben. Seine Interpretationen der bekannten Figuren unterscheidet sich vollkommen vom gewohnten Design, ohne aber deren charakteristische Merkmale vermissen zu lassen. Eher erinnern die schwungvollen Formen an die Anfänge der Disney-Charaktere. Minimalistisch und doch ausdrucksstark. Man merkt der liebevollen Inszenierung an, dass Tebo bereits in jungen Jahren in Kontakt mit Walt Disneys Schöpfungen kam, behandelt er diese doch sehr respektvoll und schafft ihnen gebührenden Raum.
Auch inhaltlich unterhalten die fünf Storys prächtig und versprühen ein herrlich nostalgisches Flair. Anlehnungen an historische Ereignisse dürften nicht rein zufällig in den sehr unterschiedlichen Erzählungen zu finden sein. So befasst sich die erste Geschichte mit dem Goldrausch, der vermehrt im 19. Jahrhundert aufkam und Arbeiter dazu brachte, ihre Stellen aufzugeben und für die Jagd nach dem schnellen Reichtum Goldfelder aufzusuchen. Mickys Friedensmission spielt vor dem Hintergrund des ersten Weltkriegs und das illegale Betreiben einer Schokoladen-Fabrik spielt zweifelsohne auf die Prohibition in den USA an, die zwischen 1922 und 1930 die Herstellung und den Transport von Alkohol verbot. Mickys und Donalds Weltall-Mission liegt die Mondlandung der Apollo 11 von 1969 zu Grunde und lässt den genervten Erpel in die Fußstapfen von Neil Armstrong treten. All diese Anspielungen werten den Gesamteindruck auf und machen „Die jungen Jahre von Micky“ zu mehr, als nur einer Hommage an vergangene Tage.
Hingucker
So respektvoll Tebo mit den Charakteren umgeht, so liebevoll ist man auch beim Egmont-Verlag mit der Gestaltung des Buches umgegangen. Der herausragend verarbeitete, gebundene Band, der innerhalb der Egmont Comic Collection die vierte Hommage an Disney darstellt, lässt nach dem grandiosen Inhalt auch optisch keine Wünsche offen und ist ein Blickfang in jedem Bücherregal. Mickys zeitlosen Abenteuern wird ein stabiler und hochwertiger Einband, abgesetzt in Halbleinen, spendiert. Die Oberfläche fühlt sich angenehm weich an und die Spotlack-Veredelung des Titels setzt einen ansprechenden Akzent. Der glasklare Druck wirkt auf dem festen, kartonartigen Sonderpapier matt, was den nostalgischen Touch des Werkes unterstreicht. Die reduzierten Farben drängen sich nicht in den Vordergrund, sondern untermalen dezent die klassisch angehauchte Atmosphäre. Opulent eingestreute Doppelseiten laden zum Verweilen ein und erfreuen mit vielen Details innerhalb der einzelnen Episoden, während Tebo bei der Rahmenhandlung um den erzählenden, gealterten Micky auf minimalistische Zeichnungen setzt und Hintergründe auch mal ganz ausspart.
Fazit:
Wer in seiner Kindheit mit Disney-Comics aufgewachsen ist und (wie ich) nach jahrzehntelanger Abstinenz mal wieder Lust bekommen hat, in die bunten Sphären der bekanntesten Maus der Welt einzutauchen, wird sich fühlen, als sei er in eine der Zeitmaschinen des findigen Tüftlers gestiegen. Schon nach kurzer Zeit stellt sich ein wohliges, vertrautes Gefühl ein, das einen denken lässt, man sei nie weg gewesen… oder zumindest nicht sehr lange.
Tebo liefert abwechslungsreiche und kurzweilige Unterhaltung auf hohem Niveau, die sich nahtlos ins vertraute Disney-Schema einfügt und nicht umsonst mit dem Prix Jeunesse, auf dem bedeutendsten europäischen Comic-Festival in Angoulême, ausgezeichnet wurde. Eine absolute Empfehlung… nicht nur für Disney-Fans.
Der opulent gestaltete Band von Egmont bildet den perfekten Rahmen für das Bild, das Tebo mit „Die jungen Jahre von Micky“ in die Galerie der Disney-Klassiker hängt. Chapeau Monsieur Tebo! Chapeau Egmont!
Cover-Abbildung © 2018 Disney
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