Sein ist die Hand, die schafft. Sein ist die Hand, die verletzt.
1896 inmitten des Pazifik: Die Londoner Biologin Ellen „Ellie“ Prendick befindet sich auf einer Forschungsreise, als sie auf hoher See einen Schiffbruch erleidet, dem sie als einzige knapp entkommen kann. Doch sie hat Glück: es verschlägt sie auf eine abgelegene kleine Dschungelinsel, die sogar bewohnt zu sein scheint. In Empfang nimmt sie ein ursprünglich ebenfalls aus London stammender, etwas abgehalfterter Kerl namens Montgomery. Doch nicht nur der fristet hier, fernab der Zivilisation, sein Dasein: Das Sagen hat der geheimnisumwitterte Doktor Moreau, der sich hier zu Forschungszwecken niedergelassen zu haben scheint. Der Name ist Ellie sogar ein Begriff: Der Doktor wurde aufgrund seiner ethisch fragwürdigen Experimente an Tieren aus dem Vereinigten Königreich verbannt. Und so wie es aussieht, hat er sich nie ganz zur Ruhe gesetzt: bei einem einsamen Streifzug auf der Insel entdeckt Ellie einen seltsamen Kult von Kreaturen, die irgendetwas zwischen Mensch und Tier zu sein scheinen. Was hat Moreau hier geschaffen? Und was passiert, wenn er die Kontrolle über seine eigene Schöpfung verliert…?
Wir sind hier alle Bestien, und Sie sind die schlimmste!
Die Novelle Die Insel des Dr. Moreau gehört zu den eher übersichtlicheren Werken des viktorianischen Science-Fiction-Visionärs H. G. Wells, dessen Oeuvre bereits zahlreichen Adaptionen als Inspiration diente. Wenn es nach Ted Adams und Gabriel Rodrìguez geht, war da aber bislang keine brauchbare Umsetzung dieser Erzählung dabei, was die Comickünstler veranlasst hat, sich der Sache selbst anzunehmen.
Ähnlich wie in Mary Shelleys monumentalem Frankenstein geht es in dieser Geschichte um existentielle Fragen, die uns bis heute beschäftigen: Wo haben Wissenschaft und Forschung ihre Grenzen? Und inwieweit muss die Gesellschaft Verantwortung übernehmen für das, was sie selbst hervorbringt? Beispiele für Bücher und Filme, die sich solche und ähnliche Fragen stellen, bieten das Horror- sowie das Sci-Fi-Genre zuhauf. Je wildere Blüten der Fortschritt treibt (Atombomben, Gentechnik, künstliche Intelligenz…), desto mehr mahnen uns die chimärenhaften Wesen des Dr. Moreau, dass der innere Kritiker nie ganz verstummen sollte. Seine Hybriden lassen die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen, die vermutlich schon zuvor nie so klar definiert war, wie wir gerne glauben wollten. Moreau hat sich gegen die Natur versündigt, ohne die Konsequenzen zu Ende zu denken; Verantwortung oder Schuld sieht er nicht bei sich. Doch wenn seine Kreaturen am Ende doch wieder ins Animalische zurückfallen, missbraucht und verloren, ist es schließlich Ellie, die sich die Frage stellen muss: Was macht das Menschsein überhaupt aus?
Vergiss ihn nie … den Schmerz … vergiss ihn nie …
Genug Zündstoff für einen wilden, aber tiefgründigen Trip bietet die Story allemal. Doch obwohl sie actionbasierter geschildert ist als manch anderer Wells-Roman, wird sehr vieles der Fantasie der Leserschaft überlassen. Die Handlung ergeht sich in Andeutungen und der (eigentlich ja auch heute noch mehr als relevante) thematische rote Faden verliert sich immer wieder. Gegen die schiere Masse an gelungenen Science-Fiction-Werken mit philosophischem Anspruch wirkt Die Insel des Dr. Moreau ein wenig plump. Leider liegt das auch an der Umsetzung: der eigentlich spannende Ansatz, die Story ausschließlich auf Comic-Doppelseiten anzulegen, wird hier nicht auf die Art und Weise ausgeschöpft, wie man es sich gewünscht hätte. Einige Szenen geraten so zwar sehr dynamisch, doch die Präsentation ist alles andere als übersichtlich und stringent. Anstatt sich organisch mit Höhen und Tiefen auszubreiten und zu atmen, bleibt der Plot vage und willkürlich und wirkt stellenweise sehr gehetzt. Leider muss die Graphic Novel mit 50 Seiten auskommen; diese Beschränkung zeichnet sich mit Sicherheit für einen Großteil ihrer Schwächen verantwortlich, denn die Verdichtung tut der Story nicht gut. Trotzdem ist es etwas enttäuschend, wenn die Hälfte eines Bandes aus reinem Anhang besteht (so interessant der Dialog zwischen Adams und Rodríguez zu ihrem Vorgehen, der sich auf den letzten paar Seiten befindet, auch ist). Erwähnenswert ist, dass die Graphic Novel in einigen wenigen entscheidenden Akzenten von der Vorlage abweicht: z.B. hat man sich bewusst für eine Protagonistin anstelle von Wells‘ männlichem Hauptcharakter entschieden – ein theoretisch spannender Gedanke, der aber in der Praxis auch nicht wirklich viel hinzufügt und leider zu keiner allzu positiven Umdeutung führt.
Ist die Graphic Novel inhaltlich nicht gerade ein Highlight, so macht die Optik das wieder wett: Die blutigen Experimente des Dr. Moreau werden mit viel Verve und den knalligen, lebhaften Farben Nelson Dániels in Szene gesetzt, und die Liebe zum Detail, die Rodríguez in seinen Figurendesigns walten lässt, sucht ihresgleichen. Jedes der Mischwesen ist zeichnerisch voll ausgestaltet und erhält individuellen Charakter; in ihren Augen spiegeln sich das Leid, der Schmerz und der Schrecken ihrer Entstehung wider. Der Stil trägt auch dazu bei, dass das World-Building (mit dem unwirtlichen, finsteren Dschungel à la Heart of Darkness und der zwielichtigen, festungsartigen Forschungsstation) eine extreme immersive Kraft entwickelt. Die Bilder lassen im besten Sinne die guten alten Pulp-Horror-, Sci-Fi- und Abenteuer-Comics von früher wieder aufleben, verleihen ihnen aber einen Touch moderner Eleganz. Rein ästhetisch könnte man von einer Umsetzung dieser Novelle kaum mehr verlangen.
Fazit:
Das Herzblut, das in diese Adaption geflossen ist, springt einem geradezu von jeder Seite entgegen. Leider zählt Die Insel des Dr. Moreau zu Recht nicht zu H. G. Wells‘ einschlägigsten Werken, und die Form dieser Graphic Novel macht es eher schlechter als besser. Als kurzweilige, visuell meisterliche Alternative zum Original ist sie aber durchaus einen Blick wert.
Ted Adams, Gabriel Rodriguez, Panini
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