Ein immer größer werdendes Problem
Wenn die Liebe ein wenig Nachhilfe benötigt: Die unbedachte Einnahme einer kleinen, blauen Pille und die daraus resultierende Erektion löst einen verheerenden Ehestreit aus. „Die Erektion“ ist ein Kammerspiel, das den Leser durch die wilden Emotionen einer alternden Ehe führt.
Es ist Samstagabend. Das Ehepaar Florent und Lea haben, anlässlich Leas achtundvierzigstem Geburtstags, zwei Freunde eingeladen. Lea ist jedoch nicht wirklich zum Feiern aufgelegt und trauert ihrer schwindenden Jugend nach. Der Abend verläuft gemütlich, normal, etwas langweilig. Ein Samstagabend wie ihn das Ehepaar wahrscheinlich schon unzählige Male zuvor erlebt hat. Es wird spät und alles läuft in seinen geordneten Bahnen. Bis zu dem Punkt an dem Lea Florents Erektion bemerkt.
Das befreundete Pärchen verabschiedet sich und die Stimmung kippt zunehmend. Lea wirft Florent vor, ein Auge auf ihre Freundin Alexandra geworfen zu haben. Diesen Vorwurf weist Florent entschieden zurück. Es stellt sich heraus, dass Florent eine Viagra Tablette eingeworfen hat um seine Frau im Bett mit einer gewissen Standhaftigkeit zu überraschen. Da der Abend jedoch länger andauerte als erwartet, wuchs das folgenschwere Problem vorzeitig heran. Da sich Lea eh um ihre Jugend beraubt fühlt, bringt diese Äußerung das Fass zum überlaufen. Sie fühlt sich nicht mehr begehrt und glaubt, dass Florent sie nur noch mit der kleinen blauen Stütze lieben kann. Lea wird hysterisch und der Streit wird immer obszöner und lächerlicher. Doch der Abend ist noch lange nicht zu Ende.
Die Geschichte entwickelt sich zu einem Geschlechterkampf
„Die Erektion“ ist ein wunderbar inszeniertes Theaterstück in Form einer Graphic Novel. Wie in einem Kammerspiel üblich, ist das Geschehen örtlich beschränkt und ist völlig auf die zwischenmenschlichen Konstrukte und Dialoge fokussiert. In diesem Werk ist es eben die Wohnung von Florent und Lea. In der einfachen Konstruktion des Stücks, haben die Charaktere viel Platz um sich zu entfalten und ihr innerstes Wesen an den Tag zu bringen. Die Geschichte ähnelt in ihrer Art und in ihrem Tempo stark an Filme wie „Gott des Gemetzels“. In „Die Erektion“ nehmen die Protagonisten zwei gegensätzliche Positionen ein.
Lea hat die Charakterzüge einer Cholerikerin. Hysterisch wie sie ist, schießt sie jedoch schnell über ihr Ziel hinaus und bleibt nicht objektiv. Vielmehr versucht sie Florent mit ihrer dominanten Art eine Meinung auf zudiktieren. Florent hingegen ist eher phlegmatisch. Wenn er mit seiner Erektion durch die Wohnung läuft, wirkt er fast bemitleidenswert und trottelig. In gewisser Weise lebt die Geschichte von gewissen Stereotypen und entwickelt sich schnell zu einem Geschlechterkampf in dem sich vielleicht der ein oder andere Leser bzw. Leserin wieder findet.
Chabane ist Schauspieler und Illustrator in Einem
Die Art wie Lounis Chabane die Charaktere darstellt zeugt von einer besonderen Beobachtungsgabe und guter Menschenkenntnis. Die Feinheiten und Posen mit denen er die Figuren spielen lässt sind außergewöhnlich und geben dem Werk einen hohen Realitätsfaktor. Abgesehen von seinem sehr feinen und sauberen Stil hat er auch ein Händchen für den richtigen Aufbau der Panels und weiß es an den richtigen Stellen Tempo hinzuzufügen. Häufig sind Comiczeichner begabte Illustratoren. Selten zeigen sie auch eine Begabung für Schauspiel. Diese beiden Komponenten vereint Chabane. Er schafft es tatsächlich durch seine Figuren zu erzählen. Dadurch werden die Charaktere nicht als Werkzeug degradiert um die sich die Geschichte dreht. Vielmehr entwickeln sie sich zu einem essentiellen Bestandteil der Geschichte die eben nur durch diese Figuren erzählt werden kann.
Fazit:
„Die Erektion“ liefert mit dem ersten Band einen tollen Auftakt des geplanten Zweiteilers. Die Graphic Novel beschäftigt sich vor allem mit den zwischenmenschlichen Beziehungen einer Ehe die in die Jahre kommt und die langsam ihren Glanz und ihr Feuer verliert. Ein Thema, welches wahrscheinlich auf viele Interessenten stößt. Einziger Kritikpunkt ist, dass die Dialoge teilweise etwas vorhersehbar sind und sich die Charaktere ruhig mal aus ihren vorgegebenen Rahmen bewegen könnten. Die Geschichte ist angenehm zu lesen und es macht Spaß Florent und Lea für einen Abend zu beobachten und sich in manchen Äußerungen selber wieder zu finden. Zumindest ist der erste Band absolut Empfehlenswert. Hoffen wir, dass das Niveau im zweiten Teil gehalten werden kann.
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