Wie man es macht, man macht es falsch…
Auf dem absteigenden Ast
Sagen wir es, wie es ist: Die Menschheit ist am A… a… also, …hinüber. Genau, nennen wir es „hinüber“. Die Menschheit ist hinüber. Sie hat es (mal wieder) geschafft, sich selbst zurück in die Steinzeit zu blasen. Im Gegensatz zu vielen ähnlich dystopisch angelegten Werken kann man dies aber hier wortwörtlich nehmen.
Im aktuellen Beispiel geht der Schuss nach hinten los, als findige Wissenschaftler meinen, den Grund für die selbstzerstörerische Art der Menschen gefunden zu haben. Kriege, Terror, Morde… all diese Dinge haben laut Aussage der Experten einen gemeinsamen Auslöser: den Glauben. Es wird beschlossen, das Hirn-Areal, das für die Gläubigkeit der Menschen verantwortlich ist, mit einer chemischen Formel auszuknipsen und dem religiösen Fanatismus damit den Finger zu zeigen. Könnte ja klappen… KÖNNTE. Klappt natürlich nicht, denn sonst hätten wir hier eine sehr kurze Geschichte, für die man dann auch kein Kaliber wie Rick Remender als Autoren bräuchte. Was sich in der Theorie wie ein Kinderspiel anhört, ist in der Praxis natürlich alles andere als einfach und so passiert, was passieren musste… Das Experiment ging gehörig in die Hose und die Menschheit entwickelte sich aus selbiger zurück und springt fortan als nackter Neandertaler durch die verwüstete Botanik. Ein weltweiter evolutionärer Rückschritt.
In dieser trostlosen, von gigantischen Urzeitmonstern bevölkerten Welt, ist die junge Raja auf der Suche nach einem Mittel gegen das sogenannte DVO-8-Serum und dessen verursachte Schäden. Sie weiß, dass ein Gegenmittel existiert. Sie muss es wissen… denn schließlich war es ihr eigener Vater, der in Zusammenarbeit mit der Regierung an dem angeblichen Heilmittel gegen die glaubensgesteuerte Zerstörungswut der Menschheit gearbeitet hat. Allerdings hatte er noch einen Notfallplan in petto und entwickelte ein Gegenserum, das in einem Labor in San Fran… äh,Frisco… ich meine natürlich San Francisco lagert. Der Weg dorthin ist beschwerlich und die geimpfte (und dadurch immune) Raja muss sich gegen mutierte Insekten, Flugsaurier und wildgewordene Höhlenmenschen zur Wehr setzen, die sich brutal und blutberauscht auf alles stürzen, was ihnen unter die Keule kommt. Raja ist zu allem entschlossen, doch ihr härtester und skrupellosester Widersacher begegnet ihr, als sie auf eine von Menschen bewohnte Siedlung trifft…
Den Mund mit Seife auswaschen…
…sollte man einem Großteil der in „Devolution“ auftretenden Charaktere! Meine Güte… hier wird geflucht und mit Fäkalsprache um sich geworfen, dass sich selbst die dicksten Balken biegen. Zart besaitete Gemüter sollten gewarnt sein, denn hier fliegen dem Leser Wörter um die Ohren, dass man meint, man wäre in der großen Hof-Pause einer großstädtischen Grundschule! Da die Wilden auf Neandertalerniveau sich nur mit Grunz-Lauten verständigen, dürfte klar sein, dass diese verbalen Entgleisungen aus den menschlichen Mündern stammen. Deren Brutalitäten suchen außerdem ihresgleichen, was besonders auf den Anführer der Menschensiedlung, Gil, bezogen ist. Gil macht selten Gefangene. Wenn, dann nur in Ausnahmesituationen (oder zum Eigenbedarf)… und er setzt auch gerne mal die Schere an Stellen an, an denen es RICHTIG wehtut. Menschlicher Abschaum auf zwei Beinen. Wo ein Negan in „The Walking Dead“ noch zu einer vernünftigen Konversation im Stande ist, kotzt Gil einem eine gewaltige Ladung Obszönitäten vor die Füße, um anschließend noch genüsslich darin rumzustapfen.
In „Devolution“ geht es zur Sache… und zwar ordentlich! Wer mit weggeschossenen Gesichtern, abgetrennten Körperteilen und gelegentlich durchs Bild fliegenden Augäpfeln kein Problem hat, dürfte gut unterhalten werden. Man nähert sich dem Niveau der „Crossed“-Reihe, die sich Panel für Panel selbst zu übertreffen versucht, was die dargestellten Absurditäten und graphischen Gewaltdarstellungen angeht, gefährlich an und man fühlt sich gelegentlich auch an diese erinnert. Wer also beim F-Wort schon rote Bäckchen kriegt, ist hier definitiv an der falschen Adresse. „Devolution“ ist eine *Verzeihung* „Drecksau“ von Comic und zelebriert diesen Status auch auf jeder Seite.
„ICH HABE FEUER GEMACHT!“
Tja, diesen Satz wird Autor Rick Remender beim Schreiben von „Devolution“ mit Sicherheit NICHT aus dem Fenster gebrüllt haben, denn das Rad erfindet er mit seiner Story gewiss nicht neu. Was man dem gefeierten Autoren, auf dessen Konto auch Werke wie „Black Science“, „Low“, „Seven to Eternity“ und unzählige Publikationen bei Marvel gehen, aber zugutehalten muss, ist, dass er der größenwahnsinnigen Menschheit und den Wissenschaftlern, die meinen Gott spielen zu müssen, den imaginären Spiegel vorhält und die abstrusen Ausmaße zeigt, sollten wir uns selbst wieder in die Steinzeit katapultieren. Solch apokalyptische Szenarien sind zwar nicht sonderlich innovativ und Lesern, die schon mal eine Folge „The Walking Dead“ oder „Z-Nation“ geschaut haben, erzähle ich da auch nichts Neues, doch so konsequent, überzogen und bierernst Remender seine Story erzählt, so gut unterhält sie auch… vorausgesetzt: Man weiß, worauf man sich einlässt!
Optisch wird hier hingegen sehr viel geboten… und damit meine ich nicht die zahlreichen blutgetränkten Panels oder das herumfliegende Gekröse. Die zerstörte Welt und ihre mutierten Bewohner wurden von Zeichner Jonathan Wayshak fantastisch und sehr eindrucksvoll in Szene gesetzt. Detaillierte Riesenspinnen, ausuferndes Schlachtgetümmel, nackte Haut und testosteronstrotzende Posen… Wayshak haut hier richtig auf den Putz und so manche imposante Doppelseite lädt zum staunenden Verweilen ein. Auch die Kolorierung von James Boyd kann überzeugen. Größtenteils in Erdtöne gehalten, bekommt die dystopische Welt ihren angemessenen Anstrich. Dass Rot hier eine oft genutzte Farbe ist, brauche ich nicht extra erwähnen, oder?
Der Splitter-Verlag veröffentliche „Devolution“, als Hardcover im Book-Format, bereits im Juli 2017. Der abgeschlossene Band beinhaltet alle fünf US-Hefte, die dort bei Dynamite Entertainment erschienen. Deren Cover, illustriert vom großartigen Jae Lee und koloriert von June Chung, hat Splitter erfreulicherweise auch ins Buch integriert. Zudem gibt es noch reichlich Bonusmaterial: Von Figurenentwürfen, groben Skizzen und Skript-Auszügen samt Tusche-Zeichnungen ist alles vertreten, was man braucht. Optisch und haptisch ein Leckerbissen.
Fazit:
Es kracht und zischt, doch zu sehen ist… eine ganze Menge! Ein knüppelhartes Werk, das definitiv nicht in Kinderhände gehört. Rick Remender dreht auf und entfesselt die postapokalyptische Steinzeit. Ist die Thematik neu? Nein. Ist die Geschichte anspruchsvoll? Bedingt… aber sie regt definitiv zum Nachdenken an. Überzeugen die Zeichnungen? Oh ja! Kann ich das Buch bedenkenlos empfehlen? Jein… denn WIE und WOMIT man sich unterhalten möchte, sollte jeder für sich entscheiden. Für manche Leser könnten einige explizite Szenen schon grenzüberschreitend sein, wo andere nochmal genüsslich in die Chips-Tüte greifen. Ich persönlich wurde gut unterhalten und konnte am Ende der Geschichte – trotz mancher Vorhersehbarkeit und mangelnder Innovation – doch noch überrascht werden.
Rick Remender, Jonathan Wayshak, Splitter
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