Jagd nach Vergeltung
Gaspard ist Schäfer in den französischen Alpen. Eine Wölfin reißt eines seiner Schafe und wird erschossen. Einen jungen Wolf jedoch verschont der Schäfer. Als dieser bald noch größeren Schaden anrichtet und kein Schaf überlebt, kennt Gaspard im Hass nur noch ein Ziel. Doch die unerbittliche Jagd auf den Wolf bringt ihn selber in arge Bedrängnis.
„Schäfer und Wolf, das passt einfach nicht zusammen.“
Gleich zu Beginn bringt Gaspard mit dieser einfachen Aussage seine Sichtweise auf den Punkt. Die Motivation dem Wolf den Garaus machen zu wollen ist nachvollziehbar, schließlich ist die Existenzgrundlage durch das wilde Tier genommen. Gleichzeitig muss Gaspard aufpassen, nicht mit dem Gesetzt in Konflikt zu geraten. Denn er bewegt sich am Rande eines Naturparks und hier ist die Jagd untersagt ist.
Der Winter kommt, die Berghütte des Schäfers ist für eine lange Zeit von der Zivilisation abgeschnitten. Eines Tages folgt Gaspard der Spur des Wolfes tief in die Berge. Vereiste Steilhänge, tiefer Schnee und nur noch wenig Proviant machen die Jagd zum riskanten Unterfangen. Dann bricht auch noch ein Sturm auf. Nun geht es ums nackte Überleben.
„Ich werde dich töten, hörst du mich? Ich werde Dir das Herz mit den Zähnen herausreißen.“
Grafisch präsentiert sich „Der Wolf“ recht düster. Kräftige Outlines, Schraffuren und betonte Schatten sorgen für starke Kontraste. Zudem gibt es längere Szenen in der Dunkelheit und in der Nacht. Auch wenn nur selten eine größere Farbpalette benötigt wird, Isabelle Merlet koloriert stets stimmungsvoll.
Jean-Marc Rochette fängt die raue Berglandschaft in den Alpen sehr gut ein. Es gibt über weite Strecken nur Gaspard, den Wolf und die unberührte Natur. Tauchen in der Erzählung vereinzelt mal andere Personen auf, wirken sie beinahe wie ein Fremdkörper. So fokussieren sich Bilder und Erzählung immer mehr. Die Einsamkeit und Unberechenbarkeit der eisigen Natur werden greifbar. Gaspard ist weiter von seinem Wunsch nach Vergeltung getrieben. Doch auch für den Berg erfahrenen Schäfer wird die Lage bedrohlicher. Und es soll ein finales Aufeinandertreffen zwischen Gaspard und dem Wolf geben...
Bei aller Dramatik schleichen sich auf den gut 100 Seiten auch mal dezente Längen ein, die Rochette aber immer wieder geschickt durchbricht. So gewähren uns Halluzinationen, Träume und Gedanken auch Einblicke die Vergangenheit des wortkargen und eigensinnigen Schäfers.
Der mir bis dato unbekannte französische Schriftsteller und Philosoph Baptiste Morizot führt am Ende auf mehr als drei Seiten eine ausführliche persönliche Interpretation zum Comic aus. Diese geht mir dann insgesamt doch deutlich zu weit und möchte der Graphic Novel in meinen Augen mehr Substanz angedeihen, als tatsächlich vorhanden ist. Das ist auch gar nicht nötig. Denn auch so kann und wird jeder in „Der Wolf“ eine Botschaft entdecken können.
Auch wenn derzeit die Wolfpopulationen in einigen Regionen zunehmen und zugleich näher an die Zivilisation rücken; dass die geschilderte Situation in Rochettes „Der Wolf“ dabei eine ist, die doch weniger der gängigen Realität entspricht, versteht sich von selbst.
Fazit:
Mensch und Tierwelt sind keineswegs immer im Einklang. Mit „Der Wolf“ ruft uns Jean-Marc Rochette diesen Umstand ins Gedächtnis. Konflikte sind unvermeidbarer Teil des Zusammenlebens, denen mit mehr Demut begegnet werden kann. Trotz einiger dramaturgischer Schwächen ist „Der Wolf“ eine lesenswerte und spannende Graphic Novel, die durchaus zum Nachdenken anregt.
Jean-Marc Rochette, Jean-Marc Rochette, Knesebeck
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