Text:   Zeichner: Mikael Ross

Der verkehrte Himmel

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André C. Schmechta
10101

Comic-Couch Rezension vonJul 2024

Story

Ein packender Krimi und eine kleine Milieustudie mit nachklingendem ernstem Thema als Fundament.

Zeichnung

„Der verkehrte Himmel“ präsentiert sich auf den Panels ganz im Stile eines Mangas, schwarzweiß mit Halbtonraster-Effekt. Nur zwei besondere Szenen taucht Mikael Ross in ein leuchtendes Rosarot.

Wo ist Hoa Binh?

Die Begegnung mit einem Mädchen, das in einem Auto auf einem Parkplatz wartet, rückt in ein neues Licht, als die junge Tâm mit Alex, einem Jungen, mit dem sie die gleiche Schule besucht, einen grausigen Fund in einem Gebüsch macht. Ein abgetrennter Finger! Tâm muss an das kleine Küchenbeil denken, dass sie und ihr Bruder dem Mädchen im Auto verkauft haben. Schon bald soll Tam mehr über die Fremde und ihr Schicksal erfahren. Und nicht nur sie und ihr Bruder geraten in das Visier eines brutalen Mannes.

Willkommen in Berlin-Lichtenberg

Zwischen Hochhäusern und Schrebergärten siedelt Mikael Ross sein neues Werk an. Und es hat mich von der ersten Seite an gepackt. Ich wollte eigentlich nur mal kurz hineinschauen und habe das Buch erst wieder zur Seite gelegt, als ich am Ende angelangt bin. Der in München geborene, heute in Berlin lebende und arbeitende Comiczeichner erzählt mit toll ausbalancierter Dramaturgie, die von griffigen und so wunderbar unterschiedlichen Charakteren getragen wird.

Gleich zu Beginn lernen wir das Geschwisterpaar Tâm und Dennis kennen. Kinder vietnamesischer Eltern, die ein Imbiss-Restaurant betreiben. Wir erfreuen uns an dem unverkrampften Humor, der auch im weiteren Verlauf immer wieder durchblitzt. Doch ebenso früh ist klar, dass es hier nicht nur amüsant zugehen wird. Ganz im Gegenteil. Besagtes Mädchen aus dem Auto - das den Namen Hoa Binh trägt - ist verletzt auf der Flucht. Tâm möchte helfen. Zum Leidwesen ihres Bruders Dennis. Der hat aber anfangs auch noch ganz andere Probleme und versucht verzweifelt die Avancen der Kickboxerin Marina abzuwehren. Aber da ist ja noch Alex, der von einer Schauspieler-Karriere als James Bond träumt.

Mikael Ross verleiht all seinen Figuren Konturen, überzeichnet sie mal mehr mal weniger stark, gestaltet sie aber lebensnah und gibt ihnen Raum sich zu entfalten. Sie haben das Herz am rechten Fleck, aber ebenso ihre Schrullen und Laster. Und irgendwie hat man alle gern. Nun ja, nicht alle. Es gibt eben auch die Bösen in der Geschichte. Und die sind nicht zimperlich. Allesamt aber hauchen dem Stadtteil-Milieu viel Authentizität ein. Mikael Ross hat in Lichtenberg als Aushilfslehrer gearbeitet. Erfahrungen mit viet-deutschen Schülerinnen und Schülern sowie Recherchen in der entsprechenden Community haben ihm bei den Vorbereitungen zu seiner Geschichte wertvolle Anhaltspunkte geliefert.

Der Kern in „Der verkehrte Himmel“ berührt ein ebenso reales wie ernstes Thema. Es geht um Menschenhandel in Deutschland, in Berlin. Doch Mikael Ross überdreht hier nicht, wird nicht politisch, sondern lässt die (fiktiven) Ereignisse in den Alltag der Viertelbewohner einbrechen. Die Vietnamesin Hoa Binh versucht sich aus den Fängen ihrer Peiniger zu befreien. Doch die lassen nicht mit sich spaßen. Es geht dann auch mal derbe zur Sache und sogar um Leben und Tod. Mit Entschlossenheit und Mut möchte Tâm dem Mädchen zur Seite stehen. Sie erfährt auch Unterstützung, etwa von den drei Mädchen auf den Rollerskates. Oder Jutta, die im Schrebergarten wohnt. So gibt es immer wieder spannende Wendungen und packende Verwicklungen. Und am Ende fügen sich die Puzzleteile zusammen, verflechten sich die Figuren immer mehr. Wir fiebern und fühlen mit, halten aber schließlich ebenso nachdenklich inne.

„Der verkehrte Himmel“ präsentiert sich auf den Panels ganz im Stile eines Mangas, schwarzweiß mit Halbtonraster-Effekt. Nur zwei besondere Szenen taucht Mikael Ross in ein leuchtendes Rosarot. Immer wieder variiert das Tempo, es gibt rasante Action, feinfühlige und dramatische Passagen. Mikael Ross arbeitet mit toller Dynamik in seinen Perspektiven, lässt auch über längere Sequenzen nur die Bilder erzählen, nutzt einzelne Motive, um einen besonderen Moment zu fokussieren.

Fazit:

„Der verkehrte Himmel“ ist ein überaus packender Krimi und eine kleine Milieustudie mit nachklingendem ernstem Thema als Fundament. Aber es geht auch um Familie und Freundschaft, um Träume und Sehnsüchte, um das vielfältige Leben und die Menschen in einem Stadtteil. Und um die Liebe. Wie schade, dass ich Lichtenberg nach über 340 Seiten verlassen muss und mich – so wie auch Tâm - frage: Wo ist Hoa Binh?

Der verkehrte Himmel

Mikael Ross, Mikael Ross, Avant

Der verkehrte Himmel

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