Text:   Zeichner: Jana Heidersdorf

Der Speichermann

Der Speichermann
Der Speichermann
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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonFeb 2021

Story

Nah an der geschriebenen Vorlage, die sich erfreulicherweise ebenfalls im Band befindet. Große Überraschungen bleiben für Genre-erfahrene Leser zwar aus, die Atmosphäre stimmt jedoch und wird konsequent auf unheilschwangerem Level durchgezogen.

Zeichnung

Insgesamt sehr dunkel, was zwar gut zur recht trostlosen Story passt, aber ohne große Highlights manchmal auf der Stelle tritt. Für ein Comic-Debüt gelungen, doch mehr kreativer Mut (wie bei anderen Arbeiten der Künstlerin) wäre wünschenswert gewesen.

Glaubst du noch an den Weihnachtsmann?

Verlockend…

Um nicht mit ansehen zu müssen, wie der Sarg aus dem alten Herrenhaus gebracht wird, flüchtet ein Junge sich auf den Speicher des Anwesens. Gerade verlor er seine Mutter und kann seine Trauer nicht richtig zum Ausdruck bringen. Beim gemeinsamen Abendessen brach sie zusammen, erlag einem Krebsleiden. Eine weitere vollendete Tatsache, die der Sechsjährige nicht richtig greifen kann. Unter dem Dach, auf dessen Außenseite sich zur winterlichen Jahreszeit der Schnee sammelt, sucht er die Abgeschiedenheit. Der Ostflügel ist abgelegen und vom Winter ist das Gemäuer noch weit entfernt, denn noch ist es sommerlich warm. Und doch wird der Junge an seinem selbstgewählten Rückzugsort mit fröstelnden Aussichten konfrontiert. Hier, zwischen gelagerten Erinnerungen, morschen Dielen und staubbedeckten Dekorationen, die sich unter mottenzerfressenen Laken nur erahnen lassen, trifft er den Weihnachtsmann. Zumindest gibt der alte Mann sich als dieser aus. Starrt ihn an, aus einer mit alten Gemälden zugepflasterten Wand in der hintersten Ecke des Speichers. Beinahe wirkt er selbst als Teil des Ganzen. Ein lebendig gewordenes Kunstwerk, inmitten aussortierter Gesichter, die den Jungen mit öligen Blicken aus ihren prunkvoll gerahmten Gefängnissen fixieren. Der alte Mann spricht mit ihm, versucht ihn zu locken. Bietet ihm Schokolade an, die er nur annehmen müsse. Doch der Junge schaltet schnell. Er widersteht der süßen Versuchung. Fremde Männer, die Kindern Süßigkeiten versprechen… und versteckt auf dem Dachboden leben… da schrillen auch bei einem Sechsjährigen im Idealfall sämtliche Alarmglocken. Dennoch verspricht der Bursche, dass er irgendwann wiederkommen wird. Das Angebot, dass größeren Kindern eine ebenso größere Gabe in Aussicht gestellt wird, ist dann doch… verlockend.

Ganze zehn Jahre vergehen, bis es den mittlerweile herangewachsenen Knaben wieder auf den Dachboden zieht. Den vermeintlichen Weihnachtsmann hat er dabei schon fast vergessen. Das lebendige Gesicht hinter der Bilderwand ist nur noch eine blasse Erinnerung. Sein entlaufener Kater führt ihn in den entlegensten Winkel des alten Hauses. Erneut trifft er den alten Mann an, der noch immer behauptet, der Weihnachtsmann zu sein. Auch kann dieser Auskunft zum ausgebüxten Haustier geben. Diese ist alles andere als erfreulich, doch wieder lockt der Speichermann mit schwer zu widerstehenden Versprechungen. Nicht zum letzten Mal…

Zur Sache

Ohne große Umschweife und Einleitung, kommt die Geschichte schnell in Fahrt. Direkt führt sie den Leser auf den unheilvollen Speicher, der Dreh- und Angelpunkt der Erzählung ist. Hier erwartet uns ein stimmungsvolles und gleichsam düsteres Wintermärchen, welches auf einer Kurzgeschichte des Bestseller-Autors Kai Meyer („Die Geisterseher“, „Merle“-Trilogie) basiert, dessen thematisch vergleichbar eisige „Frostfeuer“-Adaption ebenfalls bei SPLITTER (zuerst als Trilogie, dann gesammelt in einem Band) erschien und von der wunderbaren Marie Sann ebenso wunderbar illustriert wurde. (Um es mit der SPLITTER-Kooperation möglichst komplett zu machen, seien auch noch die sechsbändige Comic-Umsetzung von „Das Wolkenvolk“ und der 2019 erschienene erste Band von „Die Krone der Sterne“ mit Zeichnungen von Ralf Schlüter erwähnt.)

Nach dem melancholischen Auftakt trägt sich die dunkle Schwere, die sich unmittelbar zu Beginn bereits ausbreitet, beinahe über die gesamte Lesedauer… die zugegeben etwas kurz ist. Selbst ein kleiner Lichtblick, in dem unserem mittlerweile erwachsenen Protagonisten Glück - in Form einer liebenden Ehefrau und den gemeinsamen Zwillingen - beschert wird, wird schnell im Keim erstickt und mit einem düsteren Schleier überzogen. Damit der Band aber nicht zu schnell aus der Hand gelegt wird, folgt dem graphischen Tiefschlag - ein Happy End sollte man bei der konstant unheilschwangeren Atmosphäre nämlich nicht erwarten - noch ein gemütszerrender Brocken in Schriftform. Ähnlich wie bei Jurek Malottkes Graphic Novel-Adaption von Kai Meyers „Das Fleisch der Vielen“ (SPLITTER), liegt „Der Speichermann“ im Bonusmaterial des Albums nämlich noch in seiner ursprünglichen Fassung bei. Diese findet Platz auf neun großformatigen Seiten, die mit Charakterstudien und Cover-Entwürfen kombiniert wurden. Das Nachwort gehört dann Kai Meyer, der über die Entstehung seiner bereits 1995 zu Papier gebrachten Kurzgeschichte spricht.

Kammerspiel in vier Akten

Für die künstlerische Umsetzung konnte die Berliner Fantasy-Illustratorin Jana Heidersdorf gewonnen werden, die mit „Der Speichermann“ ihr Comic-Debüt feiert. Generell beweist sie in ihren Arbeiten ein gutes Gespür für Atmosphäre, was sich in düsteren und zugleich wunderschönen Fantasy-Gemälden mit oftmals bedrohlich anmutenden Märchen-Aspekten entlädt. Meist in triste Finsternis getaucht, bricht immer wieder ein Leuchten hervor, welches dem unheilvollen Schrecken förmlich grell entgegenschreit. So angetan ich von ihren Einzelarbeiten und Cover-Illustrationen bin (beispielsweise für die Neuauflage von Meyers „Merle“-Reihe und Stephen & Owen Kings „Sleeping Beauties“), so dezent verhalten bin ich beim Lob vom Artwork in „Der Speichermann“. Trotz der Kürze der Story, fehlt es mir an Abwechslung. Gut, der Handlungsspielraum ist arg begrenzt, über kreative Perspektivwechsel hätte ich mich jedoch sehr gefreut. Auch die Darstellung von Menschen scheint - anhand manch ungelenker und dadurch eher steifer Illustration - nicht die größte Stärke der Künstlerin zu sein. Man mag es nun „meckern auf erhöhtem Niveau“ oder „das Haar in der Suppe suchen“ nennen, aber selbst über die kompakte Lesedauer konnte ich nicht komplett in die Story gezogen werden.

Erfreulich hingegen ist, dass die Kolorierung der Grundstimmung sehr in die Karten spielt. Angemessen dunkel und unheilvoll, wabert hier doch stets ein melancholisches und gleichzeitig gruseliges, stets lauter werdendes Rauschen durch die Panels. So ist der Schauermärchen-Mantel dauerhaft ausgebreitet und präsent. Hervorzuheben ist hier noch der farbliche Wechsel, der die Lebensabschnitte des namenlosen Protagonisten immer wieder optisch verdeutlicht.

Fazit:

Ein wenig zu kurz, ein wenig zu monoton. „Der Speichermann“ kann nicht komplett begeistern, was zum einen an der schnell durchgezogenen Story, und zum anderen an den wenig abwechslungsreichen Bildern liegt. Trübe Herbst- oder Winterabende dürften mit dieser Graphic-Novel im Alben-Format noch etwas grauer werden, was aber durchaus beabsichtigt und deshalb in passender Atmosphäre (oder Stimmung) gut zu konsumieren ist.

Der Speichermann

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