Ausbeuter der Meere
Das größte Museum der Welt… tief unter dem Meeresspiegel
Und nicht nur das. Auch der größte Friedhof. Experten schätzen, dass weltweit rund 3 Millionen Schiffswracks unter der Wasseroberfläche der Weltmeere schlummern. Ozeandampfer, Passagier-, Kriegs- oder Handelsschiffe. Gekenterte Tanker, Fischerboote und in Schlachten versenkte Fregatten. Manche bereits seit tausenden Jahren verschollen… und mit ihnen ihre Besatzung. Fahrgäste, Reisende, Seeleute und Soldaten. Sie alle fanden ihr dunkles Grab auf dem Grund des Meeres. Die ewige Ruhe. Doch diese wird immer wieder gestört… denn freilich befanden sich nicht nur Menschen auf den havarierten Schiffen, sondern oftmals auch deren Besitztümer. Frachten von unschätzbarem Wert. Ladungen mit Gold, Edelsteinen, Kunstgegenständen. Raritäten längst vergangener Tage, die heute von historischem Wert wären, würde man sie denn zu Tage fördern.
Nun, das werden sie. Und das nicht einmal selten. Moderne Schatzjäger, oftmals mit finanzstarken Investoren im Rücken, begeben sich auf die Suche nach den Wracks und haben es sich zur Aufgabe gemacht, die verschollenen Reichtümer zu bergen. Ungeachtet von wissenschaftlichen Standards, um solche Expeditionen überhaupt fachmännisch durchzuführen, sind diese meist nur am Profit interessiert. Archäologen weltweit prangern diese moderne Art der Piraterie an und verweisen darauf, dass durch das harsche Vorgehen der selbsternannten Schatzsucher kulturhistorische Reichtümer zugunsten des neu entfachten Goldrausches zerstört werden. Mit riesigen Saugern brechen sie durch die Sandschichten des Meeresbodens und fördern alles an die Oberfläche, was die Rohre aufnehmen können. Die Wertsachen werden aussortiert, der Rest geht verloren. Der Profit zählt… nicht das kulturelle Erbe, die unmittelbar mit dem Fund verknüpfte Geschichte eines Landes, die gestörte Totenruhe. Männer, Frauen… Kinder… alle, die dort ihre letzte Ruhe fanden, wurden durch Geldgier dem letzten Beweis ihrer Existenz beraubt. Keine Schatzjäger… Grabräuber! Grabräuber und Totengräber.
Das Glück dieser Erde, liegt auf dem… Grund unserer Meere?
Ja, für manche tut es das wohl, denn die Crew der Explorer ist komplett aus dem Häuschen, als sie im Jahr 2007 - irgendwo in der Straße von Gibraltar, die das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet - auf den größten Unterwasserschatz der Geschichte stößt. Bei ITHACA Deep Sea, dem wohl mächtigsten US-Bergungsunternehmen, lässt man in Vorfreude bereits die Korken knallen, doch die spanische Regierung hegt begründete Zweifel an der Herkunft des legendären Schatzes der „Black Swan“.
Der junge Diplomat Álex Ventura, der sich sichtlich nervös und sich seinem neuen Job noch unsicher herantastend auf neuem Terrain bewegt, wurde frisch vom Außenministerium ans Kulturministerium in Madrid überstellt. Noch grün hinter den Ohren, scheint man ihm nicht allzu viel zuzutrauen, dennoch betraut man ihn damit, mehr über den wertvollen Schatz, den die Amerikaner gehoben haben, herauszufinden. Mittlerweile berichten auch die Medien über den unfassbaren Fund, der einen Wert von 500 Millionen US-Dollar haben soll. Álex legt sich ins Zeug und sucht zu Recherchezwecken das Amt zum Schutz des Unterwassererbes auf. Dort trifft er auf Elsa, die bereits Meldung über die Machenschaften von ITHACA im Atlantik gemacht hat, aber bisher auf taube Ohren stieß. Von ihr erfährt Álex auch, dass Frank Stern, der Kopf von ITHACA, Teile „seines“ Schatzes bereits öffentlich präsentiert hat… und die gefundenen spanischen Dublonen mit Wappen aus dem 18. Jahrhundert lassen kaum noch Zweifel offen, dass die mysteriöse „Black Swan“ unter spanischer Flagge gesegelt ist.
Die Amerikaner haben außerdem versucht, die Kanzlei von Jonas Gold als Rechtsbeistand zu engagieren, einem Anwalt, der zuvor bereits mehrfach Prozesse gegen ITHACA gewonnen hat. Die Sache stinkt sieben Meilen gegen den Wind, doch um einen Anspruch auf das gefundene Wrack – und somit den Schatz – zu erheben, müssen Beweise von Seiten Spaniens geliefert werden. Da ITHACA beim Gericht einen Vollantrag auf alle geborgenen Objekte gestellt hat, bleiben Álex, Elsa, Gold und dem Ministerium sieben Tage, um die spanische Herkunft der „Black Swan“ nachzuweisen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, der immer mehr Dreck an die Oberfläche bringt, je weiter alle Beteiligten graben…
Politik kann SOOO spannend sein!
Zuerst dachte ich, dass ich es mit „Der Schatz der Black Swan“ mit einem waschechten Abenteuer-Comic inklusive Schatzsuche zu tun bekomme. Nicht GANZ falsch, aber dennoch mit einem Bein auf dem Holzweg. Die Geschichte beginnt erst richtig, nachdem der Schatz bereits gehoben wurde… und selbst davon bekommt man als Leser nichts mit. Im Kern haben wir es hier mit einem Polit-Thriller zu tun, der in seiner Machart an Filme wie „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffman oder „State of Play“ mit Russell Crowe erinnert. Nur, dass dieses spannende Genre auch hervorragend in Comic-Form funktioniert. Obwohl es nicht um Mord und Totschlag geht, ist das Macht-Gerangel, das die Beteiligten in eine Spirale aus Profitgier und Korruption zieht, packend erzählt und unter dem Zeitdruck der Protagonisten wird Guillermo Corrals Thriller der Spitzenklasse zum absoluten Pageturner. Dank Corrals eigener Tätigkeit als Diplomat, hat man hier stets das Gefühl, dass der Mann weiß, wovon er schreibt. Alles hat Hand und Fuß.
Ich las „Das Geheimnis der Black Swan“ am späten Abend und konnte es nicht weglegen, bis ich auf der letzten Seite angekommen war. Dann legte ich es weg, ohne diese zu lesen… NEIN, natürlich NICHT! Aber nach dem Ende merkte ich erst, wie angespannt ich die ganze Zeit über war. Das kommt selten vor, dass eine Graphic Novel mich dermaßen in ihre Story zieht. Und diese beruht sogar auf tatsächlichen Ereignissen. Einige der Charaktere sind auch an ihre realen Vorbilder angelehnt… sowohl namentlich, als auch optisch.
Stilistisch irgendwo zwischen „Tim und Struppi“ und anderen Vertretern klassischer frankobelgischer Comic-Kunst angelegt, pfeift Zeichner Paco Roca auf eine realistische Darstellung seiner Charaktere. Kann er auch, denn den Realismus übernimmt sein Autoren-Kollege Corral zur Genüge. Da die Story von Haus aus auch genügend Spannung mit sich bringt, ist es erfreulich, dass Roca hier auf visuelle Experimente verzichtet und sehr gradlinig vorgeht. Klassische und übersichtliche Panels und unaufgeregte Zeichnungen bringen auf charmante Art und Weise etwas Ruhe rein. Mit der aufreibenden Geschichte und den entschleunigten Zeichnungen entsteht somit eine perfekt abgewogene Harmonie in Wort und Bild.
Fazit:
Ein wahnsinnig spannender und bodenständiger Thriller, der über sympathische Charaktere verfügt und das Medium Comic nicht zwecks Übertreibungen ausreizt. Eine abenteuerliche Perle, die der Reprodukt Verlag im hochwertigen Hardcover präsentiert. DAS ist ein Schatz, den es sich zu bergen lohnt!
Guillermo Corral, Paco Roca, Reprodukt
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