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Aus dem Leben geschossen
Barbara „Babs“ Gordon als lebhaften Teenager zu beschreiben, wäre wohl etwas untertrieben. Vor ihren flinken Fingern ist kein Computer-System sicher und für sie gibt es nichts befriedigenderes, als ein kniffliges Rätsel zu lösen. Puzzlestück für Puzzlestück aneinander zu fügen, bis es ein Gesamtbild ergibt. So auch eines Abends, als Babs mit ihrem besten Freund Benjamin auf einem Dach hockt und die Lichter Gothams unter sich beobachtet. Gerade erst hat sie wieder unter Beweis gestellt, dass ihr beim Hacken keiner etwas vormacht und Benjamin eine digitale Abreibung verpasst. Plötzlich wird die Ruhe über der Stadt durch den mitgehörten Polizeifunk unterbrochen. In der Nähe findet ein bewaffneter Raubüberfall statt und die mit Sirenengeheul vorbeirasenden Polizeiwagen bestätigen Babs, dass ihr Dad, Commissioner James Gordon, bereits auf dem Weg zum Tatort ist. Neugierig hechtet sie von Dach zu Dach, hängt Benjamin ab, um das Geschehen live zu verfolgen, als… urplötzlich ein Schuss die Nacht laut aufschreien lässt. Ein Schuss. Ein unachtsamer Moment… und alles wird dunkel. Alles wird anders.
Return to Arkham…
Nein, nicht das Arkham Asylum, wo Gothams schurkische Langfinger stapelweise dank eines gewissen Dunklen Ritters einsitzen (und mindestens genau so schnell wieder ausbrechen, wie sie dort hineingeprügelt wurden…), auch nicht Arkham City, bekannt aus dem gleichnamigen Game von Rocksteady Studios, in dem der mittlerweile zum Bürgermeister aufgestiegene Quincy Sharp Teile der Stadt abriegeln ließ, um die gefährlichen Verbrecher nach der Zerstörung des Asylums dort unterzubringen, sondern das Arkham Center für Rehabilitation (A.C.R.). Dort soll Barbara lernen, sich mit ihrer neuen Situation zu arrangieren. Leicht gesagt…
Sechs Wochen sind seit der schicksalhaften Nacht vergangen, in der Barbara ihre Neugier nicht in Zaum halten konnte. Die verirrte Kugel des Diebes traf sie. Beendete ihr Leben, wie sie es kannte. Nun sitzt sie im Rollstuhl und alle Freiheit scheint ihr entrissen. Von dem einst fröhlichen und abenteuerlustigen Mädchen ist nicht mehr viel übrig. Von Lebensfreude keine Spur. Nur noch Wut, Schmerz und… Angst. Ihrem Vater ist sie ebenso abweisend gegenüber, wie dem behandelnden Arzt des A.C.R., Dr. Harland Maxwell, und den anderen Teenagern in ihrem Alter, die Babs offenherzig und freundlich empfangen. Sie hat einen Schild um sich aufgebaut, den scheinbar niemand durchdringen kann. Nur das Mädchen Jena lässt nicht locker...
Jena, die nachts gerne mit ihren Gehhilfen durch die Gänge des Instituts schleicht, besucht Babs fast schon regelmäßig. Sie kann wenigstens irgendwie zu ihr durchdringen. Jena erzählt von ihrem Zwillingsbruder Michael, nach dem sie immer schaut. Eines Nachts ist dessen Zimmer jedoch leer und die besorgte und verängstigte Leidensgenossin bittet Babs um Hilfe. Diese hackt sich ins System des A.C.R. und macht eine erstaunliche Entdeckung: Dort gibt es niemanden namens Michael…
Empfohlen ab 13 Jahren…
…was selbstverständlich nur als grober Richtwert gesehen werden sollte. Tatsächlich werden auch ältere Leserinnen und Leser garantiert weiterlesen, so bald sie die ersten paar Seiten miterlebt haben. Es fällt nämlich wirklich schwer, „Der Oracle Code_“ wieder aus der Hand zu legen. Die niederländische Bestseller-Autorin Marieke Nijkamp („54 Minuten: Jeder hat Angst vor dem Jungen mit der Waffe“) scheint genau zu wissen, welche Knöpfe sie drücken muss, um einen fesselnden Einstieg in die Story zu gestalten. Dies geschieht auch ohne Umschweife, bevor es Babs schließlich ins hochmoderne A.C.R. verschlägt.
Dort ist es Babs‘ innere Zerrissenheit, die im Coming-of-Age-Gewand blendend herausgearbeitet wurde. Die fehlende Akzeptanz für die Folgen ihres Schicksalsschlags. Das Abschotten von anderen Teenagern in ihrem Alter, mit denen sie erstmal nichts zu tun haben möchte. Und gleichzeitig das Vermissen ihres alten Lebens. Das Vermissen ihres besten Freundes Benjamin, der seinerseits ebenfalls nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll und wie er Barbara gegenübertreten soll. Dann noch die Probleme mit ihrem Dad, der doch eigentlich nur das Beste für seine Tochter möchte, sich aber verständlicherweise genauso schwertut. Reale Probleme in einer fast schon realen Welt. Man muss sich schon in Erinnerung rufen, dass wir uns noch immer in Gotham City befinden, wo eigentlich Batman des Nachts für Ordnung sorgt, während der Joker die Stadt tyrannisiert, kein Safe vor Catwoman sicher ist, der Riddler im Akkord Fragezeichen verteilt und Poison Ivy fleißig die Botanik wässert. Von Superhelden ist hier weit und breit keine Spur. Und das funktioniert erstaunlich gut.
Wie alle Titel des Imprints Panini ink, ist auch „Der Oracle Code_“ losgelöst von der DC-Kontinuität. Eine eigenständige Graphic Novel, die Barbara Gordons schwerste Zeit ins Teenager-Alter verfrachtet. Parallelen zum eigentlichen Kanon gibt es natürlich dennoch. So wurde Barbara Gordon, das damalige Batgirl, im Comic-Meilenstein „The Killing Joke“, geschrieben von Alan Moore („Watchmen“, „Swamp Thing“, „V wie Vendetta“, „From Hell“) und gezeichnet von Brian Bolland („Camelot 3000“, „Animal Man“, „The Invisibles“), vom Joker in ihrer eigenen Wohnung niedergeschossen. Sie überlebte den Angriff zwar schwerverletzt, war seitdem aber von der Hüfte abwärts gelähmt. Anfang 1989 trat Barbara dann erstmalig als Oracle (US-Ausgabe #23 von „Suicide Squad“) in Erscheinung, was wiederum die nächste Brücke zum bereits bekannten Geschehen der eigentlichen Kontinuität schlägt. Im Hintergrund agierend, versorgte sie Batman und seine Verbündeten mit wichtigen Informationen und wurde als Computer-As unverzichtbar. 1996 war sie im One-Shot „Black Canary/Oracle: Birds of Prey #1“ fester Bestandteil des frisch gegründeten Teams, zu dem sich 2003 unter Autorin Gail Simone noch Huntress hinzugesellte. Die drei Charaktere waren auch Teil der kurzlebigen TV-Serie „Birds of Prey“, die bei uns ab Herbst 2003 zum ersten Mal zu sehen war. Oracle/Barbara Gordon wurde hier von der Darstellerin Dinah Meyer („Vernetzt - Johnny Mnemonic“, „Starship Troopers“, „SAW I-IV“) verkörpert.
Poppig und ideenreich
Stilistisch ist in „Der Oracle Code_“ ebenfalls eine Menge los. Die Zeichnungen sind modern, jedoch nicht überladen oder gar experimentell. Das liegt teilweise auch an der poppigen Kolorierung (Manuel Preitano & Jordie Bellaire), die gerne mal ganze Panels und Abschnitte monochrom darstellt. Dann sind es wieder nur einfarbige Hintergründe, die den Fokus auf den Vordergrund lenken. Das wirkt frisch und passt großartig zu Preitanos Bildern, die immer wieder mit kreativen Anordnungen und Perspektiven überraschen. Auch der Stilwechsel, wenn es um Darstellungen von Flashbacks oder erzählten Geschichten innerhalb der Story geht, macht selbst erfahrenen Leserinnen und Lesern deutlich, dass es sich keineswegs um einen Schnellschuss oder Comic-Kram von der Stange handelt.
Nach der Geschichte gibt es noch eine kleine Leseprobe zu „In Batgirls Schatten“, einer weiteren, abgeschlossenen Graphic Novel aus dem ink-Imprint, die allerdings allein optisch nicht zu Jubel-Stürmen animiert… und im direkten Vergleich „Der Oracle Code_“ nochmals eine Ecke besser aussehen lässt.
Fazit:
Nicht der erste Titel aus Paninis/DCs-Teen-Sparte, der mehr als nur einen Blick wert ist! Die junge Babs ist ein starker Charakter, mit dem sich Leserinnen und Leser schnell identifizieren können. Mutig muss sie über sich hinauswachsen und formt nebenbei noch ihr späteres Ich. Toll geschrieben und ansprechend gezeichnet… nicht nur für Teenager.
Marieke Nijkamp, Manuel Preitano, Panini
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