Die Mutter aller Alieninvasionen
„Die Chancen für Leben auf dem Mars stehen eine Million zu eins … und doch kamen sie.“
In den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts sieht sich die Menschheit plötzlich einem unerwarteten außerirdischen Angriff gegenüber: der Mars sendet mit Streitkräften bemannte Zylinder auf die Erde, und schon kurz darauf streifen gewaltige, dreibeinige Kampfmaschinen durch das florierende England, deren Hitzestrahl nichts als Tod und Zerstörung hinter sich zurücklässt. Der menschliche Widerstand wird von der marsianischen Übermacht schnell in die Knie gezwungen. Der Protagonist – Journalist und Philosoph Robert – kämpft sich durch die verwüstete Landschaft, um seine Ehefrau wiederzufinden. Doch die Hoffnung schwindet mehr und mehr. Hat die Menschheit überhaupt noch eine Chance?
Seit über einem ganzen Jahrhundert (pop)kulturell einflussreich
H.G. Wells‘ visionäre Sci/Fi-Novelle ist mehr Idee als ausgefeilte Story. Die nachhaltige Faszination, die der Stoff ausübt, ist belegt durch die unzähligen Adaptionen der Prämisse: die unvermeidliche Hollywoodverfilmung von 1953; Spielbergs von Post-9/11-Paranoia durchzogenes Remake mit Tom Cruise; und nicht zuletzt Jeff Waynes hochdramatisches Discomusical, um nur einige zu nennen. Was heute klischeehaft und abgenutzt wirkt, war der damaligen Zeit weit voraus.
Eine gängige Lesart des Stoffes (die auch Thilo Krapp nicht entgangen ist und im Nachwort Erwähnung findet), schon nahegelegt durch solche Zitate wie „… und bevor wir die Marsleute zu hart verurteilen, müssen wir uns fragen: Sind wir nicht mit derselben Härte gegen unsere eigene Spezies vorgegangen?“, besteht in einer Kritik am Kolonialismus. Als „Krieg der Welten“ verfasst wurde, befand sich das britische Imperium in seiner Blütezeit, und griff auf der ganzen Welt gnadenlos um sich. H.G. Wells´ scheint die Frage stellen zu wollen: wie würde euch das denn gefallen? Darüber hinausgehend mahnt die Geschichte den Menschen ganz allgemein vor dem Fall, der bekanntermaßen nach dem Hochmut kommen kann, und regt dazu an, das Verhalten der Menschheit und ihr Selbstverständnis als Krone der Schöpfung mit Sonderrechten im Universum zu reflektieren und zu hinterfragen. Wird auch ihr Durchsetzungsvermögen gegen Ende dann doch noch positiv hervorgehoben, so ist der Mensch an sich innerhalb dieser Erzählung nicht an seiner eigenen Rettung beteiligt und der kalten Macht des Kosmos schutzlos ausgeliefert.
Teilweiser Bruch zwischen Stil und Inhalt
Laut eigener Aussage war Thilo Krapp von dem Werk schon seit seiner Kindheit fasziniert, als er zufällig die berüchtigte Radiofassung von Orson Welles´ hörte (um die sich der Mythos rankt, sie habe bei ihrem Erscheinen in den 30er Jahren eine Massenpanik ausgelöst). Mit dieser Graphic Novel erfüllt er sich ein Herzensprojekt. Dies wird schon deutlich in der akribischen Recherche, die er in langjähriger Vorbereitung betrieben hat, um das viktorianische England authentisch darstellen zu können (im Nachwort befinden sich einige erhellende Erläuterungen und Skizzen). Dass viel Herzblut und Liebe zum Detail in diese Comicadaption geflossen sind, ist offensichtlich. Leider kann sie trotzdem nicht auf ganzer Linie überzeugen.
Die Zeichnungen sind fast durchgehend in schwarz-weiß gehalten, bedeckt von einer Art Sepia-Ton, der die passende Atmosphäre erzeugt. Einige der größeren, spektakuläreren Zerstörungsszenen sind sehr gut gelungen, und das Design der berühmten „Tripods“ ist – wenn auch nicht allzu kreativ – stimmig. Das Gesamtbild und die Panelverteilung sind sehr dynamisch, in den actionreicheren Szenen allerdings manchmal zu sehr aufs Detail fokussiert und hektisch, sodass es stellenweise schwierig ist, den Geschehnissen zu folgen. Zum Teil wirkt es fast so, als wäre Krapp gerade durch die Schlüsselszenen nur so hindurchgehuscht, was aufgrund seiner Leidenschaft für „Krieg der Welten“ seltsam anmutet. Leider vermag auch der Stil des Figurendesigns nicht ganz zu überzeugen; dieser ist für Kinder- und Jugendbuchillustrationen und Comics anderer Genres und Zielgruppen (die Krapp ebenfalls bedient) absolut angemessen, wirkt aber in der ansonsten stark naturalistischen Ästhetik einen Hauch deplatziert, und kann den apokalyptischen Horror des Szenarios nur bedingt einfangen.
Fazit:
H.G. Wells´ „Krieg der Welten“ bietet sich aufgrund der heutzutage sehr vertrauten Storygrundlage, der zahlreichen Actionszenen und der hintergründigen Tiefsinnigkeit für visuelle Adaptionen geradezu an. Thilo Krapp ist zu dieser Umsetzung als Graphic Novel, mit der er sich seinen lang gehegten Traum erfüllte, Respekt zu zollen. Leider hätte die zeichnerische Ebene noch mehr aus dem Stoff herausholen können und wird dessen epischer Bandbreite nur bedingt gerecht. Es handelt sich hier sowohl für Einsteiger als auch für Kenner um eine informative und sehr liebevoll gestaltete Comicversion des Werkes; waschechte Fans sollten die Augen aber noch nach weiteren offenhalten.
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