Der analoge Mann

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Marcel Scharrenbroich
5101

Comic-Couch Rezension vonFeb 2020

Story

Nicht so „analog“ wie erwartet. Autobiographische Kurz-Stories, die selten über den Tellerrand blicken und in ihrer eigenen, kleinen Welt spielen. Hier und dort zwar sozialkritisch, dann aber doch zu plakativ und selbstinszeniert.

Zeichnung

Bis auf wenige Ausnahmen in Schwarz/Weiß, was aber nicht weiter stört. Die schlichten Karikaturen sind okay, jedoch nicht außergewöhnlich. Ohne den markanten Hut würde die Hauptfigur in der Masse untergehen.

Punk, Platten, Paartanz

Back 2 the Oldskool

Stets auf dem Sprung, immer unter Strom… bloß nicht verweilen, rasten, ruhen, geschweige denn ganz stehenbleiben. Wir rasen durch unsere Welt, die wir selber kaum noch verstehen. Können ihr nicht mehr folgen, denn bereits mit dem nächsten Smartphone-Update beginnt eine neue technische Zeitrechnung. Die Trends von morgen sind seit gestern wieder out… und wer heute noch „out“ sagt, gehört zusammen mit der letzten Apple-Watch schon zum alten Eisen, beziehungsweise auf den Elektroschrott. Denn mit dem Smartphone in der Hose, dem Tablet im stylishen Täschchen, dem Bluetooth-Headset im Ohr, dem Laptop auf dem Schoß, der Smartwatch am Handgelenk, Google-Glass auf der Nase und dem Schrittzähler am Puls der Zeit bestehen wir mittlerweile aus mehr Technik als der beschissene „Sechs-Millionen-Dollar-Mann“ (der inflationsbereinigt heute einen Wert von 36.581.645,67 US-Dollar hätte… kein Witz, die Technik macht’s möglich!). Bevor die findigen Tüftler in Zukunft ihre Technik-Wunderwerke im Monats-Rhythmus auf den Markt schmeißen und die schwer überschätzte Telefon-Funktion irgendwann ganz weglassen, kann es nicht schaden, das (noch!) analog bedienbare Lenkrad des neusten TESLA-Model 3 herumzureißen – falls kein E-Scooter im Weg liegt – und auf die Bremse zu treten… sofern das Auto dies zulässt, bevor einen der erste Herzinfarkt vorm Abschluss des Influencer-Studiums ereilt.

Jedoch fährt nicht jeder auf der linken Spur der Datenautobahn… Man munkelt, dass es tatsächlich Menschen gibt, die auf die Vorteile eines Hosentaschen-Almanachs mit Finger-wund-wisch-Funktion verzichten. Für diese wundersamen Leute soll es tatsächlich uninteressant sein, sich beim Spazieren die Nase am Gorilla-Glas plattzudrücken, während die nächste „3… 2… 1…-Eskalation“ in den sozialen Medien scheinbar stimulierende Auswirkungen aufs K(l)einhirn hat. Tatsächlich nehmen diese Leute ihre Umwelt noch wahr. Gehen auf Konzerte, sehen diese mit ihren eigenen Augen und nicht durch ein 6,1 Zoll-Display. Hören Musik daheim über eine vernünftige Anlage, ja, sogar von CDs oder *schluck* Schallplatten! Und tragen nicht ein plärrend-quäkendes Rechteck vor sich her, das die ganze Straße übersteuert in Mono beschallt. Übrigens gibt es auch viele Anstands-Querulanten, die ihren gesplitterten Flach-Schrott 30-40 cm vor der Lippe platzieren und lauthals hineingrölen, dass im hintersten Zugabteil noch jeder problemlos informiert wird, dass der Typ im vorderen Wagen Knatsch mit seiner Liebsten hat. Denen sei gesagt: „HALTET EUCH DAS BLÖDE DING ANS OHR! DAFÜR IST ES GEMACHT WORDEN… VERDAMMT NOCH MAL!“ Puh… ja, da kann man manchmal gut verstehen, warum es in der heutigen Zeit doch noch Technik-Verweigerer gibt. Und dabei meine ich nicht Opi am Fenster, der den ganzen Tag murmelt, dass „früher alles besser war“. Gewiss nicht. Doch können wir eine ganze Menge verpassen, wenn wir nur in der digitalen Scheinwelt umherschwirren. Augen auf und auch mal die kleinen Dinge wirken lassen. Vom Netz gehen. Zusehen, wie ein anderer mit Handy-Tunnelblick blind in den Feierabendverkehr latscht und ähnliche Scherze. In realen Läden stöbern, satt den Online-Handel reich zu klicken. So wie Andreas Michalke, der sich selbst als „Der analoge Mann“ bezeichnet…

Mikrokosmos

Michalkes gezeichnetes Alter Ego bewegt sich in seiner eigenen kleinen Welt… die vorzugsweise in und um Berlin zum Leben erwacht. Und ganz so „analog“, wie man beim Titel denken könnte, ist er dabei nicht wirklich… wie bereits das von ihm verfasste Vorwort verrät. Photoshop, MP3s und E-Mails sind ihm keineswegs fremd. Nur beim Smartphone ist er raus… was nicht zwingend für Kopfschütteln sorgen sollte (siehe oben). So wandelt Andreas Michalkes „analoges“ Comic-Pendant auf den Spuren von Profi-Neurotiker Woody Allen, wenn er in einseitigen Kurzgeschichten Alltagssituationen aufzeigt, bestimmte Erlebnisse nachdenklich betrachtet oder einfach nur übers Leben sinniert. Einzelne Erzählungen sind in reiner Textform geschrieben und werden nur von einer thematisch passenden Zeichnung unterstützt. Etwa eine belebte Straße in Kreuzberg, die vollgepflastert mit Pollern, Verzierungen und Schildern für reichlich Unmut und Verständnislosigkeit sorgt. Oder eine Skizze der Routen, die Andreas Michalke bevorzugt zurücklegt. Vom Hutladen zum Schuhladen, in den Plattenladen, dann zum Supermarkt, zur Post und wieder zurück. Wie gesagt… ein Mikrokosmos.

Von „Authentisch“ bis „Ereignislos“

Da es sich hier um autobiographische Kurzgeschichten handelt, fiel es mir persönlich schwer, länger am Ball zu bleiben. Zwischen kauziger und spleeniger Selbstinszenierung schreckt der gezeichnete Mann mit Hut zwar vor der Einsicht eigener Fehler nicht zurück, steckt jedoch für meinen Geschmack zu sehr in seiner eigenen Welt fest, sodass ich mich nicht über die gesamte Länge des Buches angesprochen fühlte. Der ehemalige Punk, dessen reales Ich seit den späten 80ern Cartoons und Comics zeichnet, ist zum Swing-Tänzer und Plattensammler mutiert, weshalb sich auch viele Geschichten um diese Themen drehen. Beispielsweise dem Swingtanzcamp im schwedischen Herräng, das er mit seiner Partnerin regelmäßig besucht. Da Michalke auch hier nicht mit Insider-Wissen spart, könnte der unmusikalische Normalo da schnell aus dem Rennen sein… ich war es jedenfalls… auch wenn ich anderweitig durchaus musikinteressiert bin. Sozialkritisch trifft Michalke dafür oft den richtigen Ton und scheut sich nicht, gesellschaftliche Probleme offen anzusprechen und aufzuzeigen.

Seit 2017 zeichnet Andreas Michalke „Der analoge Mann“ für die Wochenzeitung jungle.world, für die er zuvor bereits fünfzehn Jahre seine Serie „Bigbeatland“ beisteuerte. Diese wurde ebenfalls in zwei Bänden beim Reprodukt Verlag veröffentlicht. So auch sein preisgekröntes Album „Smalltown Boy“, welches von seiner Jugend als Punk in einer norddeutschen Kleinstadt erzählt.

Fazit:

Eine nette Geschichtensammlung, die über das Adjektiv „nett“ leider nicht hinauskommt. Zu speziell waren mir die Eigenheiten des „analogen Mannes“, dessen Art zwar oft sehr authentisch rüberkam, aber ebenso oft für Augenrollen sorgte. Qualitativ liegt das Hardcover mit Leinenrücken gut in der Hand und ist auch vom dicken Papier her sehr hochwertig verarbeitet.

Der analoge Mann

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