Landgang
Geplagt von Albträumen
Die Brüder Leo und Felix sowie die beiden Mädchen Chrissy und Asra, die sie an Bord der „Seelenfänger“ kennenlernten, konnten zuletzt einen Teilsieg über die monströsen Kreaturen erringen. Die grotesken Albtraumgestalten nutzten Kinder als lebende Zielscheiben. Mit der Zerstörung der Kanone wurde dem grausamen Treiben erstmal ein Ende gesetzt. Aber nur vorerst, wenn es nach den Monstern geht…
Das Schiff hat Kurs auf den sagenumwobenen Nachtturm genommen. Von dort wollen sie eine neue Kanone für ihre mörderischen Absichten bekommen. Ein Schachzug, den die Kinder mit allen Mitteln verhindern wollen. Einen Vorteil haben sie, denn entgegen der anderen Kinder auf dem Schiff, den von den Kreaturen versklavten „Verbannten“, können sie sich einigermaßen frei an Bord bewegen. Zwar durch enge Rohre und stets auf der Hut, nicht erwischt zu werden, aber frei. Allerdings fehlt es ihnen an Ideen, wie sie die „Seelenfänger“ von ihrem Zielort fernhalten könnten. Das Schiff sabotieren? Möglichst unbemerkt den Kurs ändern? Schier unmöglich.
Während Leo noch immer versucht, schützend die Hand über seinen jüngeren Bruder zu halten, hadert der mit dem Ziel ihrer eigentlichen Mission. Nicht nur Felix, sondern auch Asra. Beide sind sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie mit dem Erlangen der Weltenschlüssel überhaupt noch in die ihnen vertraute Welt zurückkehren möchten. Asra, die zwar die Einsamkeit auf dem Schiff fürchtet, weiß nicht, ob dieser eigentlich trostlose und furchterregende Ort die vielleicht bessere Alternative zu ihrem Elternhaus wäre. Und Felix fürchtet, er könnte nicht mehr in den Spiegel sehen, wenn er die „Verbannten“ ihrem Schicksal überlässt. Eine Zwickmühle, denn sein großer Bruder würde ihn niemals alleine auf der „Seelenfänger“ lassen.
Noch ist aber nicht die Zeit, sich über ungelegte Eier Sorgen zu machen, denn die Fahrt auf dem Nachtmeer neigt sich erstmal einem Ende zu. Vor Leo, Felix, Chrissy und Asra baut sich bedrohlich der Nachtturm auf. Und nun ist es abermals an Felix, der ein unerklärliches Wissen über diese finstere Albtraumwelt hat, sich einen handfesten Plan zu überlegen, um die Monster von ihrem Vorhaben abzubringen. Doch dafür müssen sie die „Seelenfänger“ verlassen und unbemerkt in den Nachtturm eindringen…
Ab vom Kurs
Endlich von diesem Horror-Schiff zu kommen, ist nicht der direkte Weg zum Ziel. Ziel ist es, wieder in die Realität zu gelangen… und das geht nur an Bord, wo sich die regelrecht aus der Realität gerissenen Zimmer der Kinder befinden. Band 3 der auf vier Teile angelegten Reihe umfasst somit eigentlich eine Art Sidequest und tritt beim Fortschritt des großen Abenteuers weitestgehend auf der Stelle. Das macht „Der Nachtturm“ aber keineswegs zu einem langweiligen Leseerlebnis, denn wir erfahren mehr über unsere vier Hauptprotagonisten. Autor Boris Koch ist es gut gelungen, die Gefühlswelten der Kinder einzufangen. Ihre Ängste und Sorgen, Albträume, die sie unter dem Einfluss der Dunkelheit zu übermannen drohen. Beklemmend und finster, jedoch nicht hoffnungslos.
Frauke Bergers Illustrationen tragen wieder eine Menge zur surrealen Horror-Mär bei. Groteske Kreaturen, klaustrophobische Enge und eine bildgewordene Trostlosigkeit. Nicht selten grübelt man, was die Zeichnerin gerade vermitteln will, aber das ist Teil des Erkundungsprozesses. Manche Bilder lässt man einfach für sich sprechen. Aus dem Fluss kommt man beim Lesen deshalb aber nie. Die rostig-matschige Kolorierung ist während des Aufenthalts auf der „Seelenfänger“ wieder dominant, während Berger selbst dort Platz findet, mit einem kühlen Blau Akzente zu setzen. Abseits des Schiffes wird es oft finster, allerdings werden die Seiten nie in Schwärze ertränkt, sondern clever und abwechslungsreich ins rechte Licht gerückt.
Fazit:
Inhaltlich machen wir nicht die größten Schritte, dafür bekommen die Figuren mehr Tiefe. Ein zusammenfassendes Intro bringt einen als Leser wieder schnell in die Geschichte, die jedoch unbedingt das Vorwissen aus den beiden ersten Bänden verlangt. Zeichnerisch gewohnt kreativ und abwechslungsreich. Vor allem, weil wir uns diesmal auch abseits des Schiffes bewegen.
Boris Koch, Frauke Berger, Splitter
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