Erfüllung durch Glauben?
Ein namenloses Mädchen an einem trüben Tag auf seinem Streifzug durch Hamburg. Während sie rastlos umherwandert, steigen Erinnerungen an die Oberfläche: Erinnerungen an die Kindheit in ihrer Heimat Polen, an den Umzug nach Deutschland, an den persönlichen Zufluchtsort Ostseeküste, an die strenggläubige Mutter und ebenso fromme Oma, an die ersten Berührungspunkte mit der katholischen Kirche. Eine Beichte löste damals einiges bei diesem Mädchen aus. Ein mittelschweres Trauma entstand. Nach und nach entfaltet sich vor dem Leser ein intimes Erfahrungsmosaik…
„Die Sünde ist die treibende Kraft. Ohne Sünde kein Schuldgefühl.“
Genretechnisch ist „Das leere Gefäß“ kaum einzuordnen. Die Schöpferin Magdalena Kaszuba verarbeitet ihre Kindheitserfahrungen mit dem Glauben ihrer erzkatholischen Familie und wie diese sie nachhaltig geprägt haben. Trotz des hohen Maßes an Abstraktion ist die Graphic Novel also zumindest ansatzweise als autobiographisch zu bezeichnen. Während die Protagonistin – bei der es sich wohl um die Autorin selbst, oder eine Stellvertreterfigur, handelt – im Hier und Heute durch Hamburg spaziert, steigen diese Erinnerungen an die Oberfläche. Es handelt sich weniger um einen geradlinigen Plot, als vielmehr um eine assoziative Präsentation von Gedanken und Empfindungen, ähnlich einer „stream-of-consciousness“-Erzählung.
Der Titel „Das leere Gefäß“ ist symbolisch zu verstehen. Leere Gefäße sind wir zunächst alle, die gefüllt werden müssen. Manche Ideologien oder Glaubenssätze können dabei allerdings ungeahnte Schäden verursachen. So beschreibt sich auch Magdalena Kaszuba: als leere Hülle, die mit negativen Emotionen gefüllt wurde. Geholfen hat ihr am Ende nur, alles wieder auszukippen – das Gute mit dem Schlechten. Traumatisiert von den grausameren Bibelgeschichten und ihren eigenen Schuldgefühlen, bleibt ihr letztendlich nur die völlige Entfremdung – von ihrem Glauben, jedoch auch von sich selbst.
„Sie tanzen unbekümmert um diesen Baum und essen die Früchte. Aber ich kann es verstehen. Äpfel sind verdammt lecker.“
Mit diesem Comic möchte Kaszuba ihr inneres Kind wiederfinden. Dementsprechend ist der Zeichenstil hektisch und suchend, verbindet kindliche Bleistiftzeichnungen mit Deckweiß, Tuscheflecken und Aquarelltupfern. So wirkt es, als würden die Erinnerungen aus einer Art Dunst aufsteigen und die Gegenwart der Autorin infiltrieren bzw. „beflecken“. Die beschränkte Farbpalette erinnert an kirchliche Heiligenstatuen. Dominant ist dabei ein bewusst hässliches Gelb, das die beklemmende Grundatmosphäre einfängt und auf den Leser überträgt.
Es vermischen sich Zeit- und Gefühlsebenen, Assoziationen entstehen plötzlich und sprunghaft. Auch die Unordnung der Panelgrößen, die zwischen kleinen und seitenfüllenden Abbildungen wechselt und dabei oft unvermittelte Bilder zwischenschiebt, sorgt für ein Nachempfinden der desorientierenden Wirkung, welche die Religion auf das nunmehr verzerrte Selbstbild der Protagonistin und ihr Verhältnis zu Gott und zum Glauben gehabt hat. Der Ästhetik haftet zuteil etwas Traumwandlerisches an. In manchen Fällen werden die Bilder sehr abstrakt und verstörend. Besonders beeindruckend gelingt beispielsweise die Beichtszene, in welcher der Priester - über mehrere Seiten hinweg - zerfließt und sich in eine Horde Raubtiere verwandelt, die das Mädchen umzingeln.
Fazit:
Magdalena Kaszuba legt mit „Das leere Gefäß“ ein beeindruckendes Debut vor. Die tagebuchartigen Texte hätten stellenweise zwar etwas mehr Substanz vertragen können, davon abgesehen gelingt ihr aber ein berührendes und sehr persönliches Werk, in dem sie ihre Erfahrungen verarbeitet, ohne dabei verbittert oder urteilend zu wirken. Komplettiert wird das Ganze von dem außergewöhnlichen Stil. Eine solch stimmige Einheit zwischen Inhalt und Form findet sich selten. Keine leichte Kost, aber sehr stark und empfehlenswert!
Magdalena Kaszuba, Magdalena Kaszuba, Avant
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