Die Kunst des Scheiterns
Neurosen eines Grundschülers
Unsicherheit, Selbstzweifel, Ängste und stetiges Versagen in allen Lebenslagen. Würde man all diese Punkte in einen Namen pressen, würde dieser Charlie Brown lauten. Ein mit spärlichem Haarwuchs gesegneter Bursche, der vom Pech verfolgt wird, das Herz aber am rechten Fleck trägt. Von dem bunten Spaß, den wir Leben nennen, lässt er sich trotzdem nicht unterkriegen und versucht es wieder und wieder und… wieder.
Der gebeutelte Bengel, der – sollte er jemals erwachsen werden – einen Psychiater mal zu einem sehr reichen Mann machen wird, wurde erdacht vom amerikanischen Comic-Zeichner Charles M. Schulz (1922 – 2000). Der im Laufe seiner Karriere mehrfach ausgezeichnete Schulz wurde schon in frühster Kindheit mit Cartoons wie „Krazy Kat“ und „Popeye“ sozialisiert. Seine Liebe für die kurzen Bildergeschichten überdauerte auch den Zweiten Weltkrieg, wo er im April 1945 bei der Befreiung Dachaus durch die alliierten Truppen vor Ort war. Nach seiner Rückkehr letterte er für ein christliches Comic-Magazin und zeichnete seine eigenen Strips, in denen eine Gruppe Kinder die Hauptfiguren darstellte. Seine „Li'l Folks“, welche er noch mit dem Pseudonym Sparky signierte (der Name seines Hundes aus Kindheitstagen, den er später als Vorlage für „Snoopy“ nahm), erschienen in der Lokalzeitung, bevor Schulz sich 1950 an das legendäre United Feature Syndicate wendete. Der 1919 gegründete Redaktionsdienst hatte bereits Comic-Strips wie „Nancy“, „Tarzan“, „Casey Ruggles“ oder „Li'l Abner“ (später auch Dauerbrenner wie „Dilbert“, „Marmaduke“ und „Garfield“) im umfangreichen Programm, wollte sich die von Schulz erdachten Knirpse aber nicht entgehen lassen. Wegen der namentlichen Ähnlichkeit zu Al Capps „Li'l Abner“ schlug man allerdings einen neuen Namen vor, dem Schulz nur widerwillig zustimmte: „Peanuts“.
Am 2. Oktober 1950 feierten sie ihre Premiere in mehreren Tageszeitungen. Auf mittlerweile vier Panels angewachsen, erfreuten die „Peanuts“ seitdem unzählige Leserinnen und Leser quer über den Erdball. Mit wachsendem Erfolg entwickelten sich die Figuren weiter. Nicht nur optisch, sondern auch in ihrem Wesen. Um den liebenswerten Loser Charlie Brown, in den Charles M. Schulz eine Menge autobiographischer Erlebnisse einfließen ließ, scharten sich bis ins Jahr 2000 zahlreiche Figuren. An vielen verlor Schulz jedoch das Interesse, da sie seiner Meinung nach zu wenig Charakter mitbrachten, um die Leserinnen und Leser weiterhin zu unterhalten. So entwickelte sich im Laufe der Jahre ein harter Kern, von dem man kein Mitglied missen möchte. Man denke nur an Linus, Charlie Browns besten Freund, der wo er geht und steht seine Schmusedecke in Schlepptau hat, Lucy, die sich an ihrem zusammengezimmerten Stand am Straßenrand für psychologische Ratschläge bezahlen lässt und Charlie Brown regelmäßig durch das Wegziehen eines Footballs entkleidet, den verträumten Musiker Schroeder, der sein Idol Beethoven anhimmelt, während er wiederum von Charlies kleiner Schwester Sally angeschmachtet wird… oder natürlich den Beagle Snoopy, der am liebsten auf seiner Hundehütte ruht, wenn er nicht als Roter Baron auf selbiger mit seinem gefiederten Freund Woodstock durch die Luft düst. Unvergesslich in wahnsinnigen 17.897 Comic-Strips, im TV, auf unzähligen Merchandise-Produkten und sogar im Kino. Zuletzt erst 2015, als man mit „Die Peanuts - Der Film“ auf moderne 3D-Animation setzte, was aber schon bei den neueren „Asterix“-Abenteuern eher kritisch aufgenommen wurde. Vielleicht sollte man nicht alles modernisieren, um mit dem Trend zu schwimmen und letztendlich in der Masse unterzugehen. Ähnlich wie der Humor der „Peanuts“, welcher nicht oberflächlich und platt daherkommt, sondern oft tiefgründig und gehaltvoll ist, ist nämlich auch der Look vor allem eins: zeitlos.
Kann Spuren von „Erdnüssen“ enthalten
Wer in wohliger Nostalgie baden und unbedingt mehr über die beliebte Rasselbande erfahren möchte, kommt an „Das komplette PEANUTS Familien-Album“ aus dem CARLSEN Verlag nur schwer vorbei. Das edle Hardcover im Coffeetable-Format und veredeltem Schutzumschlag beleuchtet jede einzelne Figur im „Peanuts“-Universum und zeigt dazu die Strips ihrer ersten Auftritte. Gut 70 Charaktere wurden von Charles M. Schulz erschaffen, von denen selbst eingefleischte Fans den einen oder anderen vergessen haben dürften. So kommen neben dem müffelnden und stets in einer Staubwolke stehenden Dreckspatz Pig-Pen oder dem kleinen rothaarigen Mädchen, Charlie Browns unerhörter Liebe, auch kurzzeitige Charaktere wie Shermy, Truffles, Thadäus oder David Sohn zu Ehren. Und natürlich darf die Klassenlehrerin der Kinder, Fräulein Othmar, ebenfalls nicht fehlen. Sie war zwar nie zu sehen, dafür aber zu hören. Ihre Stimme wurde lediglich durch eine Posaune dargestellt, was mich immer sehr an meine frühere Mathe-Lehrerin erinnerte. Da verstand man ebenfalls kein Wort, wenn sie wieder von ihren Nüssen (Sinus und Kosinus) erzählte. Aber lassen wir sie dort ruhen, wo sie wahrscheinlich schmort… in der Hölle des Pythagoras.
Neben den zahlreichen Cartoons und den informativen Texten ist das Buch randvoll mit tollen Artworks. Mal klassisch, dann wieder poppig modern. Eine großartige Mischung unterschiedlicher Stile. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Qualität der abgedruckten Bilder hervorragend (ein paar wenige Seiten wiesen Doppelkonturen auf). Thematisch wird auch den Feiertagen große Beachtung geschenkt, die in der Welt der „Peanuts“ immer schon bedeutend waren. Man erinnere sich nur an die Zeichentrickfilme „Der große Kürbis“ oder „Fröhliche Weihnachten“. Besonders gelungen sind die Charakter-Skizzen, die die Gefühlslagen zahlreicher Figuren zeigen. Ebenfalls gibt es Fotos seltener Sammlerstücke zu sehen.
Fazit:
Nicht nur für die absoluten „Peanuts“-Fans eine lohnende Anschaffung. Das wertige Coffeetable-Book lädt immer wieder dazu ein, es einfach mal aufzuschlagen und sich an den tollen Bildern zu erfreuen. Charlie Brown, Linus, Peppermint Patty, Snoopy & Co. wecken Kindheitserinnerungen, versprühen unbeschwerte Nostalgie und hinterlassen ein wohlig-warmes Gefühl. Charles M. Schulz hat mit ihnen Figuren für die Ewigkeit erschaffen.
Andrew Farago, Berkeley Breathed, Bob Peterson, Charles M. Schulz, Carlsen
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