Per Reiseführer durch die Unterwelt
Viele Wege führen in die Hölle…
…doch nur die wenigsten wieder hinaus. Einmal dort, wird es ein beschwerlicher Weg, denn es müssen alle neun Kreise der Pein und Qualen durchquert werden. Diese Erfahrung muss auch Dante machen, der bepackt mit einem Rucksack nur mäßig geschickt durch die Wälder stolpert und es irgendwie geschafft hat, dahin zu gelangen, wo wohl niemand von uns zwingend enden möchte… obwohl mir da so einige einfallen würden, denen ein gepfefferter Aufenthalt in Beelzebubs Kochtopf mal ganz guttun würde. Unser Dante weiß jedenfalls erst nicht so recht, wie ihm geschieht, als ihm im finsteren Wald plötzlich die merkwürdigsten Gestalten begegnen. Etwa ein Wolf im schicken Zweireiher, welcher redlich bemüht ist, dem Umherirrenden eine Versicherung anzudrehen. Dann noch ein im Kreis grinsender Berlusconi, der ihm auch immer wieder vor die Füße fällt. Ja, dann kann die Hölle wahrlich nicht weit entfernt sein…
Glück im Unglück, denn bei der Flucht vor dem reißerischen Wolf im Wolfspelz trifft Dante auf einen feuerroten, geschmeidigen Hund… Schakal, SCHAKAL, ich meine SCHAKAL, Verzeihung! Verwechslungen mit dem besten Freund des Menschen mag er nämlich so gar nicht. Schnell findet Dante heraus, dass es sich bei dem sprechenden Schakal um Vergil handelt. Einem einst menschlichen Dichter aus dem italienischen Mantua. Geschickt wurde er von Beatrice, Dantes Geliebter, da der Verirrte einen Helfer benötigt, um wieder auf den rechten Pfad zu finden. So führt Vergil ihn durch die verschlungenen Kreise der Hölle, wo es ordentlich skurril zugeht. Herumhüpfende Teufelchen mit baumelnden Pillemännern sind da noch das Gewöhnlichste…
So stürzen sich Dante und sein Hun… SCHAKAL! Oh Gott, SCHAKAL(!!!)… ins teuflische Abenteuer, um Stockwerk für Stockwerk in die Unterwelt hinab zu tauchen. Auf ihrem Weg treffen sie allerlei bekannte Gesichter, von denen man bei manchen nicht gedacht hätte, dass sie mal da unten landen würden. Andere wiederum… aber lest selbst.
Kreis für Kreis
Wer jetzt bei „Dante“, „Vergil“ und den „neun Kreisen“ hellhörig wurde, kam womöglich schon mal mit Dante Alighieris (1265 – 1321) Gedicht „Göttliche Komödie“ in Berührung. Jenem epischen Werk, welches, würde es heute seine Premiere feiern, wohl direkt in die Bestseller-Listen krachen und von NETFLIX für eine Event-Serie weglizenziert werden würde. So aber muss sich der Streaming-Riese damit zufriedengeben, dass der Stoff (bestehend aus den drei Teilen „Inferno“ (Hölle), „Purgatorio“ (Fegefeuer) und „Paradiso“ (Paradies)) nicht exklusiv ist und bereits quer durch alle Medien durch unterschiedlichste Genre-Richtungen geprügelt wurde. Soll heißen, dass die „Göttliche Komödie“ gleich nach der „Bibel“ der heißeste Scheiß im alten Italien war und Filmemacher sich schon 1911 an dem Stoff versuchten. Es entstanden Opern, Musicals, Kurzfilme, Dokumentationen, Graphic Novels und sogar ein „God of War“-ähnliches Action-Adventure, dem ein animierter Spielfilm und Comics von Christos N. Gage und Diego Lattore beim DC-Imprint WILDSTORM folgten. Ein gewagter Spagat, wenn man vom Ursprungsmaterial ausgeht. Selbst Autor Dan Brown orientierte sich für seinen vierten Robert Langdon-Roman an Motiven der „Göttlichen Komödie“. Passenderweise erschienen Buch und Film (zum dritten Mal mit Tom Hanks in der Hauptrolle) unter dem Titel „Inferno“.
Auf das „Inferno“ stützt sich auch Michael Meiers ziemlich geniale Comic-Modernisierung. Ursprünglich zwischen August 2010 und Juli 2011 als täglicher Comic-Strip für die „Frankfurter Rundschau“ erschienen, folgte 2012 eine erste gesammelte Ausgabe im ROTOPOL Verlag. Dieser wurde 2007 von Meier mitgegründet und der Comiczeichner und Illustrator blieb ihm bis 2016 treu. Für die Hardcover-Neuausgabe bei REPRODUKT überarbeitete Michael Meier „Das Inferno“ nochmals geringfügig.
In seiner Gesamtheit liest sich „Das Inferno“ sehr flüssig, sodass man ihm den Strip-Ursprung nur selten bis gar nicht anmerkt. Der moderne Anstrich passt hervorragend und der Einfallsreichtum, mit dem Meier vorgegangen ist, ist schier grenzenlos. Wenn das stylish designte Duo Dante und Vergil dann noch in bester Buddy-Manier mit reichlich Wortwitz vom Limbus durch die Höllenkreise zieht und neben Chiron, Jason, dem Okkultisten Aleister Crowley und einem im Blutstrom blubbernden Hitler die Straße der Schmerzen oder den Fluss des Wehklagens überquert, ist es auch nicht mehr verwunderlich, wenn noch die vierte Wand durchbrochen wird und Dante und Vergil die Leser verwundert anblicken. Selbst wenn man nicht mit Dante Alighieris „Inferno“ vertraut ist, wird man hier seinen höllischen Spaß haben.
„Don’t pay the Ferryman…“
Wie sich bereits herauslesen lässt, hat Michael Meier Dante Alighieris Ursprungswerk generalüberholt und in die heutige Zeit verfrachtet. Und dabei bleibt kein Auge trocken! Trotz allem Humor (welcher dem originalen Gesamtwerk trotz seines Titels weitestgehend abgeht), beweist Meier, dass er sich akribisch mit Alighieri und der „Divina Commedia“ befasst haben muss. Die klassische Erzählung vermischt sich fast schon spielerisch mit der Moderne. So werden historische Persönlichkeiten ebenso wenig ausgelassen, wie geschichtliche Ereignisse der verhältnismäßig jüngeren Vergangenheit. Wenn Dante beispielsweise behauptet, dass er sein Wissen aus dem Internet hat, bleibt einem schon fast das Lachen im Rachen stecken. Kann so manch „erleuchteten“ Social-Media-Rebellen, die im Netz mit zweifelhaftem „Experten“-Wissen prahlen und vor keiner noch so dubiosen Quelle fies sind, um jede Meldung der „staatlich gelenkten“ Medien anzuprangern, in den aktuellsten Fällen nicht passieren, da oft ein blitzblanker Schlauch den Weg versperrt. Anderes Thema…
Neben Chris de Burgh, der einen seiner Welt-Hits schmettern darf, gibt es ein Wiedersehen mit David Hasselhoff als Michael fucking Knight. Ihr wisst schon… der, der im Alleingang die DDR aus der Knechtschaft befreit und die Mauer niedergesungen hat. Der kleine Zauber-Bengel mit der Narbe auf der Rübe turnt dort ebenfalls rum und von „Star Wars“ bis „Der Herr der Ringe“ wird so ziemlich alles aufs Korn genommen und karikiert, was uns in der Pop-Kultur lieb und teuer ist.
Fazit:
Wer (wie ich) aus Duisburg kommt, sollte mit mindestens sieben der neun Höllenkreise schon vertraut sein… dennoch wurde mein (teils tiefschwarzes) Humor-Zentrum komplett getroffen. Neben konstantem Schmunzeln waren einige ausgewachsene Lacher dabei… und stets Bewunderung, wie gut Michael Meier doch das Ursprungs-Gedicht in die heutige Zeit transportiert hat. Eine beißende Gesellschaftskritik im Mantel bedeutender Dichtkunst des 14. Jahrhunderts.
Michael Meier, Michael Meier, Reprodukt
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