Im Flachflug durch handfeste Albernheiten
Mit der „Reife“ kam das Chaos
Würde man die bisherige Geschichte des Comic-Duos „Clever & Smart“ in Menschenjahren messen, wäre sie wohl irgendwann in der Pubertät stehengeblieben. Erdacht wurden die beiden geistigen Tieflieger, die im spanischen Original auf die Namen „Mortadelo y Filemón“ hören, bereits 1958 vom 1936 in Barcelona geborenen Francisco Ibáñez, der nur ein Jahr vor seinem Comic-Debüt seinen staubigen Bank-Beruf an den Nagel hing, um sich ganz dem Erzählen von Geschichten zu widmen. 1972 erfolgte dann auch die deutsche Übersetzung und Fred Clever und Jeff Smart, wie die Blitzbirnen bei uns heißen, und startete beim damaligen CONDOR Verlag in Alben-Form, womit sie dem spanischen Original von 1969 folgten. Dabei ist es gar nicht so einfach, einen roten Faden bei den deutschen Veröffentlichungen zu finden. Nicht, dass dieser zwingend für die abgeschlossenen Geschichten notwendig wäre, aber es wurde so ziemlich kreuz und quer publiziert, dass Komplettisten und Sammlern gleichermaßen der Schweiß ausgebrochen sein dürfte. Innerhalb der fortlaufenden Alben wiederholten sich einige Geschichten, andere wurden wiederum ausgegliedert und in Sonderbänden untergebracht. Es folgten Wiederverwertungen in weiteren Auflagen und Sammelausgaben. Einige Alben wurden in Neuauflagen zudem mit einer neuen Übersetzung versehen. Manche Story wurde rein für den deutschen Markt geschaffen, während andere Geschichten noch auf eine Auswertung warten. Ja, ziemlich chaotisch…
Seit 2018 erscheinen die Abenteuer von „Clever & Smart“ im CARLSEN Verlag, der sich nun auch an der Original-Reihenfolge der Bände orientiert. Sonderbände gibt es allerdings weiterhin. In diesen finden bislang unveröffentlichte Storys Platz, die in der Theorie natürlich der regulären Reihe zugehören müssten, welche in Spanien bereits die 200er-Marke geknackt hat. Aktuell steht mit „Hospital fatal“ der bereits siebte Sonderband in den Startlöchern, wobei mit „Lass das sein, Frankenstein!“ im Juni 2021 der fünfzehnte Band der Hauptreihe bei CARLSEN erscheinen wird.
Der nun vorliegende Hardcover-Sammelband befasst sich in weiten Teilen mit den Abenteuern, die „Clever & Smart“ vor ihrer Alben-Karriere erlebten. Dabei orientiert er sich an seinem spanischen Pendant, welches unter dem Namen „Lo mejor de las aventuras cortas de Mortadelo y Filemón“ herausgebracht wurde. Glaubt man dem Vorwort (und das tun wir jetzt mal), erschienen im Laufe der Jahrzehnte insgesamt 1.198 Kurzgeschichten der zwei Backpfeifengesichter, die in ihrer Heimat in verschiedenen Magazinen publiziert wurden. In „Das Große Buch der kurzen Geschichten von Clever & Smart“ finden sich 84 dieser Storys, die zwischen 1958 und 1983 erschienen. Auch hier wirkt die Auswahl willkürlich, was damit begründet wird, dass dies ja nicht der letzte Band dieser Art gewesen sein muss. Nun, - so viel sei bereits verraten - es wäre den Verantwortlichen zu wünschen, dass die Absatzzahlen des dicken Schmökers im grünen Bereich rangieren, denn gegen weitere chaotische Kurzgeschichten hätte ich persönlich nichts einzuwenden. Lediglich die recht freie Übersetzung wäre an einigen Stellen anzukreiden. Dass der Euro im letzten Jahrtausend schon als Zahlungsmittel herhielt, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Ebenso, dass ein bekannter Sprachassistent und die Flatrate bereits erfunden waren. Solche Kleinigkeiten kann man zwar verschmerzen, fallen aber immer wieder ein wenig negativ ins Auge.
GLGLGL!
Die ersten rund 70 Seiten verzichten zum größten Teil noch auf eine Kolorierung und laufen unter dem Titel „Clever & Smart: Agentur für Informationen“. Hier ist Verwandlungskünstler Fred Clever noch der unterbezahlte Kompagnon des miesepetrigen Detektivs Jeff Smart und die Fälle laufen meist nach den gleichen Mustern ab: Ein neuer Auftrag kommt rein, Fred verkleidet sich, alles mündet im heillosen Chaos. Finito. Verteilt auf maximal zwei Seiten, laden die Kurzgeschichten zwar zum schmunzeln ein, reißen einen aber nicht mehr wirklich vom Hocker. Auch war Francisco Ibáñez zu dieser Zeit noch in der Findungsphase, was den Stil angeht. Mit Einzug der Farbe kommt aber inhaltlich und optisch Dampf auf den Kessel.
Es beginnt mit einer Art Origin-Story, die in Rückblenden die Werdegänge der beiden Hirnis zeigt. Dann geht es auch schon zum Eignungstest. Fred und Jeff bewerben sich beim T.I.A. (Trans-Internationaler Agentenring), wo der arme Mister L ihr neuer Chef wird. Als neue Top-Agenten eingestellt, stürzen sie bald sich selbst und jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, ist halsbrecherische Unheil. Nicht selten muss ihr Chef dran glauben, während der leicht wahnsinnige Dr. Bakterius ebenfalls öfter in der Schusslinie steht. Fred und Jeff werden mit dessen abgefahrenen Erfindungen und Experimenten malträtiert, was stets damit endet, dass einer der Hauptcharaktere unter Androhung übelster Gewalt durchs letzte Panel gejagt wird. Das Schema wiederholt sich zwar immer wieder, was jedoch kaum Abnutzungserscheinungen hervorruft. Überraschenderweise kann man als Leser sehr gut am Ball bleiben, da die Panels mit irrwitzigen Gaga-Details gefüllt sind und ein Kalauer dem anderen folgt.
Schenkelklopfer-Polonäse… mit Skandal-Potential!
Ja, die Gag-Dichte ist immens hoch, was die farbigen Abenteuer des Duos besonders unterhaltsam macht. Bei manchem Klopper bleibt einem heute fast schon das Lachen im Halse stecken, ist man aktuell doch stets bemüht, niemandem auf die Füße zu treten. Political Correctness heißt das Zauberwort… wobei dies eigentlich zwei Wörter sind und für meinen Geschmack manchmal zu heftig mit wehenden Fahnen gewedelt wird, so bald sich irgendjemand anstößig angebumst fühlt. Ein kleines Beispiel: Erst kürzlich stellte eine niederländische Psychologie-Studentin ein genderneutrales Kartenspiel vor. Sie monierte, dass der König im Spiel einen höheren Stellenwert als die Dame hätte, und änderte König, Dame und Bube in Gold, Silber und Bronze. Kein Witz. Bei aller Liebe zur Gleichheit und mit einem Toleranz-Kirschchen obendrauf, bin ich da fast vor Lachen aus der Hose gesprungen. In Zeiten von Gendersternchen, Binnenmajuskel und holprigen Gender-Pausen von TV- und Radio-Moderatoren und -Moderatorinnen, überlegt man sich am besten bald zwei- bis dreimal, ob man überhaupt den Mund aufmacht. Schaut man zu solchen Themen mal in Diskussionen in den sozialen Medien nach, stellt sich eher die Frage, ob nicht vielleicht eine kostenlose Verteilung des Dudens erstmal angebrachter wäre. Und wie war noch der Spruch mit der Kirche und dem Dorf? Ach ja, richtig: Man sollte mal den Ball flach halten.
Sich über irgendwas/irgendwen zu echauffieren, scheint neuer Trend bei vielen selbsternannten Moralaposteln zu sein (siehe die Kritik an den US-Comic-Zeichnern J. Scott Campbell und Adam Hughes, die in den Augen einiger Leser und Leserinnen fiktive(!) weibliche Comic-Figuren zu lasziv darstellen), und da werden eifrige Sucher vermeintlicher Fettnäpfchen in „Das Große Buch der kurzen Geschichten von Clever & Smart“ nicht lange suchen müssen. Sei es bei Freds Verkleidungen als Kannibale, Stammeskrieger oder Fakir, Darstellungen von Alkohol- und Tabak-Genuss, einem überzeichneten Japaner, wütenden Arabern, Gewalt gegen Frauen - wobei eine Passantin ungewollt gewürgt und Vorzimmer-Dame Fräulein Ophelia im letzten Panel mit der Sense über die Dörfer gejagt wird - oder gar der ausufernden Slapstick-Gewalt an sich, von der nun mal die „Clever & Smart“-Geschichten generell leben. Vieles davon würde man heute vielleicht anders machen, manches aber auch nicht. An mancher Stelle wird sogar schon nach Zensur in Weltliteratur und klassischen Kinderbüchern geschrien, was einen fragwürdigen Beigeschmack besitzt. So, nach dem „Wort zum Sonntag“ schalten wir nun weiter zum „Fazit“. Doch zuvor, die „Wettervorhersage für morgen“:
Kalt, Regen, Schnee. Scheiße. Weiter.
Fazit:
Wer in Sachen Cartoon-Gewalt nicht zu zart besaitet ist und auch sonst nicht die Nörgel-Nadel im Heuhaufen der politischen Korrektheit sucht, kann mit der Kurzgeschichten-Sammlung der Herren „Clever & Smart“ eine Menge Spaß haben. Stilistisch steigert sich der Band von Seite zu Seite, bis die trashigen Chaos-Agenten sich so durch die Panels schießen, jagen und bomben, wie man sie seit Jahren und Jahrzehnten kennt.
Francisco Ibáñez, Francisco Ibáñez, Carlsen
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