Wildes Verlangen
Last Man Standing
Nicht nur das Krachen von splitternden Knochen und das Geräusch des Stahls, der wie Butter durch angriffslustiges Fleisch schneidet, bringt das Blut eines gestandenen Cimmeriers in Wallung. Dies muss Conan feststellen, als er mit Gelüsten der göttlichen Art konfrontiert wird…
Seit Generationen befinden sich die tapferen Männer von Nordheim im Krieg. Unerbittlich prallen die Völker der Aesir und der Vanir immer wieder aufeinander und färben das Schlachtfeld großflächig mit ihrem Lebenssaft. Angst kennt niemand von ihnen, erhoffen sie sich doch alle, dass die sagenumwobene Göttin mit dem feuerroten Haar zu ihnen herabsteigt und einen von ihnen erwählt. Die Tochter des Frostriesen Ymir beobachtet das barbarische Getümmel von der Spitze eines schneebedeckten Berges und genießt das Blutvergießen in vollsten Zügen. Es erregt sie. Bereitet ihr Lust. Ganz besonders Heimdul, ein Kriegsfürst vom Clan der Wölfe, hat es der Gott-Tochter angetan. Sein blinder Hass auf seine Gegner und die wilde Raserei, mit der er diese gnadenlos abschlachtet, beeindrucken die rothaarige Schönheit.
Der brutale Kamp auf dem zugefrorenen See neigt sich dem Ende und die verhassten Aesir scheinen geschlagen. Unzählige Leichen und ihre abgetrennten Gliedmaßen bedecken das dicke Eis. Einzig der blutverschmierte Heimdul steht noch aufrecht. Siegessicher und seine riesige, blutbesudelte Axt noch immer mit beiden Händen fest umklammernd. Doch dann betritt ein weiterer Spieler das Feld. Conan…
Fest im Glauben, dass Heimdul den Ring als Sieger verlässt, steigt Ymirs Tochter von ihrem Aussichtspunkt herab, um den, der ihrer würdig ist, zum Thron ihres Vaters zu geleiten. Dennoch hat die leichtbekleidete Frau eine Präsenz, wie sie von Conan ausgeht, noch nie verspürt. Gleichmäßiger Puls. Kräftiger Herzschlag. Brodelnde Wut. Und gleichzeitig eine innere Zufriedenheit, die er empfindet, wenn er seine Kontrahenten massakriert.
Als sie den gefrorenen See erreicht, sieht sie, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hat. Der wilde Fremde aus Cimmerien hat den scheinbar unbesiegbaren Heimdul in die Knie gezwungen. Ihm den Unterkiefer brutal herausgerissen und anschließend mit seinem Schwert aufgespießt. Diese fleischgewordene Naturgewalt soll es werden. Er soll ihr folgen, auf dem Weg zum Thron ihres Vaters. Sie, Atali, die Tochter des Frostriesen, setzt all ihre Verführungskünste ein… doch reicht das aus, um einen schwertschwingenden Cimmerier von seinem Ziel abzubringen?
Catch Me If You Can
Das anfängliche Katz- und Mausspiel, mit dem die halbnackte Atali den wortkargen Conan neckisch lockt, schlägt recht schnell um. Zuerst noch rasend vor Wut und der ungewollten Bekanntschaft der schönen Rothaarigen schnell überdrüssig, funkelt schon bald nur noch das pure Verlangen in den Augen des Barbaren. Seine Blicke sind eindeutig. Das bewusste Einsetzen von Atalis Reizen, mit denen sie unbedingt ihr Ziel erreichen will, allerdings ebenso. Der Umgang mit Sexualität ist hier also ein zweischneidiges Breitschwert. Die offen dargestellten Vergewaltigungsabsichten von Seiten Conans, der gegen Ende jegliche moralische Graustufen in tiefstes Schwarz färbt, schießen übers Ziel hinaus, was dem Leser dann doch sauer aufstoßen mag. Die Machtspielchen der Protagonisten geraten so langsam aber sicher aus dem Ruder, was darin mündet, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse ausradiert werden.
„Ymirs Tochter“ wurde von Conan-Schöpfer Robert E. Howard bereits 1932 verfasst, was die Kurzgeschichte zur ersten Geschichte über den Barbaren aus dem hyborischen Zeitalter macht. Wird allgemein die Geschichte „Im Zeichen des Phönix“ als regulärer Start der Conan-Abenteuer gesehen, handelt es sich dabei in Wahrheit um eine abgelehnte Story aus Howards Kull-Universum, die der Autor nur entsprechend umschrieb. „Ymirs Tochter“ wurde übrigens von Farnsworth Wright, dem damaligen Chefredakteur des Pulp-Magazins Weird Tales abgelehnt, woraufhin Howard „The Frost-Giant’s Daughter“, wie die Erzählung im Original heißt, 1934 unentgeltlich dem Fanzine The Fantasy Fan überließ, wo sie in Kleinstauflage (gerade einmal 60 gedruckte Exemplare) unter dem Namen „Gods of the North“ erschien.
Diese und weitere Details finden sich am Ende des Albums, wo der Lehrer, Publizist und Robert E. Howard-Experte Patrice Louinet ein sehr lesenswertes Nachwort verfasst hat… inklusive Fotos des Weird Tales-Ablehnungsschreibens und des Fanzines The Fantasy Fan. Das nicht minder interessante Vorwort wurde vom britischen Sci-Fi- und Fantasy-Schriftsteller, sowie Elric von Melniboné-Schöpfer Michael Moorcock geschrieben. Außerdem gibt es vier fantastische, ganzseitige Gemälde von Künstler Robin Recht zu sehen, der in „Ymirs Tochter“ alleinig die Fäden in der Hand hält.
Extremities
Robin Recht wurde 1974 in Frankreich geboren und ist seit 2002 im Comic-Geschäft tätig. Mal als Autor, wie bei der zweibändigen Victor Hugo-Adaption von „Der Glöckner von Notre Dame“, mal als Zeichner, wie bei der Umsetzung von Michael Moorcocks „Elric“, von der bisher drei Bände erschienen sind. Bei „Ymirs Tochter“, der mittlerweile vierten Ausgabe der zwölfteiligen „Conan der Cimmerier“-Saga, übernahm er gleich beide Positionen. Und ich kann nur sagen, dass er sich sowohl beim Schreiben, als auch bei der künstlerischen Gestaltung, hervorragend geschlagen hat. 1932, als Conan (sinngemäß) noch in den Kinderschuhen steckte, war Robert E. Howard sich noch nicht sicher, wo er mit seiner Schöpfung hinwollte, was man der experimentellen Erzählung auch anmerkt. Der Cimmerier war noch nicht ausgearbeitet, hatte noch keine Ecken und Kanten… beziehungsweise bestand NUR aus Ecken und Kanten. Diese wilde, raue Brutalität (und Conan war NIE wirklich zimperlich) kommt in dieser Geschichte besonders zum Tragen und zeichnet sich vornehmlich durch Minimalismus aus. Tiefe Blicke in die Charaktere gab und gibt es nicht. Deswegen ist es umso erstaunlicher, was bei der Comic-Umsetzung dabei herausgekommen ist.
Die Story lebt von Rechts beeindruckenden Bildern. Der umherwirbelnde Schnee peitscht dem Leser geradezu ins Gesicht und erzeugt so eine ungeahnte Tiefe inmitten der frostigen Einöde. Besonders wenn die beiden gigantischen Eisbären - Atalis Brüder (fragt nicht…) – auftauchen und Conans Herzschlag mit einem immer größer werdenden und häufiger auftretendem TOM TOM visualisiert wird, fühlt man sich als Comic-Freund an die großartigen Zeichnungen von Adam Hughes erinnert, dessen Figuren sich durch ihren Realismus, der im direkten Kontrast zu den schwarzen Outlines steht, auszeichnen. Je näher man Richtung Finale rückt, desto ausufernder werden die Bilder. Diese als Splash-Pages zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Wie schon bei der Geschichte, wird sich auch graphisch auf das Wesentliche reduziert, was die grell-zuckenden Blitze, in denen Conan Atalis Vater gegenübertritt, noch imposanter erscheinen lässt.
Fazit:
Eine fragwürdige Handlung, die mit Sicherheit die Gemüter spaltet. Conans Absichten mal außen vorgelassen, bleibt ein packendes Katz- und Mausspiel um Macht, Begierde und Manipulation, das sich speziell zum Ende hin in epischen Bildern visualisiert.
Robin Recht, Robert E. Howard, Robin Recht, Splitter
Deine Meinung zu »Conan der Cimmerier - Bd.4: Ymirs Tochter«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!