Strahlemann im Ego-Spotlight
Geblendet
Nicht nur von der Strahlkraft eines Emmanuel Macron, seines Zeichens Staatspräsident von Frankreich und seit 2017 im Amt, sondern auch vom „Sonnenkönig“ höchstpersönlich. Wie Ludwig XIV. nun in die aktuellste Comic-Reportage von Mathieu Sapin passt, erklärt sich wie folgt:
Sapin begleitete 2012 für neun Monate die Kampagne des Präsidentschaftskandidaten François Hollande, der für die folgenden fünf Jahre auch Staatsoberhaupt des Landes werden sollte. In dieser Zeit entstand Sapins Comic-Reportage „Campagne présidentielle: 200 jours dans les pas du candidat“, erschienen im französischen Verlag DARGAUD, und selbst in den beiden kommenden Jahren ging der Comic-Zeichner und -Autor im Élysée-Palast ein und aus. Für die Tageszeitung Libération sollte er dann 2017 einige Seiten über den scheidenden Präsidenten Hollande beitragen und ihn während der letzten Wochen an der Macht begleiten. Eigentlich wollte Mathieu Sapin der turbulenten Politik damit ein für allemal den Rücken kehren, doch – wie so oft im Leben – kam alles anders.
Als der Comic-Chronist auf Seiten Macrons ein TV-Duell gegen die am rechten Rand angesiedelte Kandidatin Marine Le Pen begleitet und den charismatischen Politiker „live“ erlebt, ist es schon fast um ihn geschehen. Emmanuel Macron outet sich hinter den Kulissen der Rede-Schlacht, in der er seine Konkurrentin in die Schranken wies (und die Stichwahl letztendlich mit 66,1% der abgegebenen Stimmen gewann), als Bewunderer des Comics „Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“, in dem Sapin deftig von den Eskapaden des fleischgewordenen Schauspiel-Erdbebens berichtet. Das (und ein zusätzliches Zwinkern von Macron) schmeichelt ungemein… und schon ist er wieder mit einem Bein im Politik-Geschehen.
Damit ist „Comédie Française - Reisen ins Vorzimmer der Macht“ aber keine weitere Rockzipfel-Geschichte, in der Sapin ausschließlich Macron an den Hacken klebt, sondern eine generelle Erfassung über „Macht“ und ihre Faszination davon. Mathieu Sapin schließt sich da selber nicht aus, denn seine Position öffnet ihm immer mehr Türen. Das merkt er schnell und nutzt sich ergebende Chancen recht eigennützig, da er gerade in den Vorbereitungen für seinen Spielfilm „Le poulain“ steckt, in dem es nicht von Ungefähr um eine Präsidentschaftskandidatur geht. Und eine Drehgenehmigung in der französischen Schaltzentrale der Politik bekommt nun mal nicht jeder dahergelaufene Regisseur.
Um die Brücke zum „Sonnenkönig“ zu schlagen, wechselt Sapin immer wieder ins Frankreich des 17. Jahrhunderts. Jean Baptiste Racine, geboren 1639, stieg mit großen Ambitionen Stück um Stück zum großen Tragödien-Autor auf. Nach seinem Durchbruch mit „Andromaque“ geriet Racine langsam in den Fokus des Königs Ludwig XIV., der vor allem Begeisterung für Racines einzige Komödie „Les plaideurs“ hegte. 1676 kehrte Racine dem Theater den Rücken und wurde zum Chronisten des Königs, dessen Feldzüge er regelmäßig begleitete. Vom Geschichtenerzähler zum Protokollanten der Mächtigen… na, fallen da noch jemandem Parallelen auf?
„Kann man sich der Macht nähern, ohne dabei seine Seele zu verlieren?“
Diese interessante Frage stellt Mathieu Sapin auf Seite 22 nicht nur in Richtung der Leserinnen und Leser blickend, sondern auch an sich selbst. Zu einem Zeitpunkt, an dem er noch nicht komplett im Politik-Treiben steckt, jedoch schon reichlich Einblicke durch den Hollande-Wahlkampf bekam. Da geht Sapin noch fest davon aus, dass die geforderten Seiten für die Libération das Letzte sein werden, was er in naher Zukunft in Richtung Politik zu Papier bringt. Schließlich steht ja noch sein (politisches) Spielfilm-Debüt an. Und einmal auf der Sonnenseite gebadet, möchte man gewisse Vorzüge irgendwann nicht mehr missen. Würde nicht jeder so handeln? Aber wie lange kann man unabhängig und frei agieren - gerade als Kreativer -, ohne dass die Authentizität auf der Strecke bleibt?
Man sollte schon einiges an politischem Interesse mitbringen, um Freude an „Comédie Française - Reisen ins Vorzimmer der Macht“ zu bekommen. Grundkenntnisse in Geschichte sollten ebenfalls vorhanden sein. Oder man ist halt… Franzose. Hatte mich Sapins „Gérard“ inhaltlich noch sehr gut abgeholt, blieb der Spaß hier in weiten Teilen auf der Strecke. Mathieu Sapin rückt sich selbst zu sehr in den Mittelpunkt, als wäre er auf der Suche nach einem Stück seiner selbst. Das kann er auch gerne tun, nur weiß ich nicht, ob ich ihn dabei auf Schritt und Tritt (und bis ins 17. Jahrhundert, wo er sich selbst mit einem der bedeutendsten französischen Dramatiker einen Platz an der Sonne zu teilen versucht) begleiten muss… oder möchte. Gelegentlich blitzt ein wenig Größenwahn durch, womit die zitierte Frage über diesem Absatz sich schon fast selbst beantwortet.
Vom Suchen und Finden des roten Fadens
Es geht sehr textlastig zu. Sehr, sehr textlastig. Dabei kommt kaum ein Panel ohne Anmerkung oder Fußnote aus, was das Lesen nach einiger Zeit echt anstrengend macht. Selbst Fotografen in der zweiten oder dritten Reihe werden in ihrer Tätigkeit vorgestellt, was in einem Comic nicht sein sollte. Schließlich habe ich Augen im Kopf und kann trotz der simplen Karikaturen erkennen, dass sie Kameras in den Händen halten. Das zieht sich quer durch die ständig wechselnden Handlungsstränge und lädt zu häufigen Pausen ein. Konnte ich Sapins humorvollen Vorgänger nur schwer aus der Hand legen, fiel mir dies hier deutlich leichter.
Positiv sind die gelungenen Umgebungen zu erwähnen, die sich vom sonst einfachen Zeichenstil abheben. Egal, ob Theater, Festsaal, Denkmäler, historische Straßenzüge oder das „Vorzimmer der Macht“ im Élysée-Palast… das gefällt.
Fazit:
Mathieu Sapins Comic-Reportage „Comédie Française - Reisen ins Vorzimmer der Macht“ ist Gelegenheits-Lesern nur bedingt zu empfehlen. Zwischen politischen Beobachtungen, historischer Spurensuche und reichlich Selbstfindung und -beweihräucherung findet sich tatsächlich noch Platz für Langeweile… trotz hundertfacher gelber Anmerkungen, die unterbewusst ein Post-it-Trauma auslösen könnten.
Mathieu Sapin, Mathieu Sapin, Reprodukt
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