Text:   Zeichner: Tillie Walden

Clementine - Buch Eins

Clementine - Buch Eins
Clementine - Buch Eins
Wertung wird geladen
Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonJun 2023

Story

So richtig abgeholt fühle ich mich – trotz Vorkenntnissen – noch nicht. Das kann sich noch ändern, da „Clementine“ auf drei Bücher angelegt ist.

Zeichnung

Raue Welt, raue Zeichnungen… soweit klar. Jedoch leidet die Übersicht unter Waldens übereifrigem Strich-Stakkato.

Lauf, Mädchen. Lauf!

Walk, Point & Click

Was Leuten, die im Videospiel-Bereich nicht zwingend heimisch sind, beim Blick aufs Cover noch verborgen bleiben könnte, ist die Tatsache, dass es sich bei „Clementine“ um ein Spin-off aus dem bekannten „The Walking Dead“-Universum von Robert Kirkman handelt. Wurde der IMAGE-Comic bereits im Sommer 2019 nach 193 Ausgaben (recht kurzfristig) beendet, ist die darauf basierende TV-Serie erst 2022 nach elf zum Teil quälenden Staffeln zu Ende gegangen. Bereits 2012, als der Zombie-Hype gerade an Fahrt aufnahm, startete der Spieleentwickler TELLTALE GAMES mit einem in fünf Episoden veröffentlichten Videospiel. Keine simple Adaption der Serie, sondern ein auf komplett eigenen Beinen stehendes Abenteuer, abseits vom TV- oder Comic-Geschehen. Wir übernehmen darin die Rolle von Lee Everett, einem Sträfling, der auf dem Weg in den Knast von der Zombie-Apokalypse überrascht wird. Das Schicksal bringt ihn mit der erst achtjährigen Clementine zusammen, die verzweifelt auf die Rückkehr ihrer verreisten Eltern wartet. Die Zweckgemeinschaft macht sich auf einen gefährlichen Road-Trip, der sie immer wieder in neue Gefahren bringt. Für TELLTALE, hauptsächlich bestehend aus ehemaligen LUCASARTS-Mitarbeitern, die zuvor mit Games zu „Sam & Max“, „Back to the Future“, „Jurassic Park“ oder den „Tales of Monkey Island“ Achtungserfolge vorweisen konnten, wurde das Spiel ein riesiger Erfolg, mauserte sich zum Publikumsliebling und sahnte gleich mehrere Preise ab. Nicht Wenige sahen in dem Studio den Retter des sträflich vernachlässigten Adventure-Genres, maßgeblich geprägt durch „Day of the Tentacle“, der „Monkey Island“-Reihe, „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ (alle LUCASARTS) oder Titel der Konkurrenz von SIERRA („King’s Quest“, „Space Quest“, „Leisure Suit Larry“, „Gabriel Knight“). Kein Wunder also, dass TELLTALE bei „The Walking Dead“ am Ball blieb. Nicht nur das, denn man sicherte sich Lizenzen am Fließband, um nach ähnlichem Spielprinzip weitere Hits zu produzieren. Darunter „Game of Thrones“, „Guardians of the Galaxy“, „Batman“, „Minecraft“, „Borderlands“ und den „Fables“-Ableger „The Wolf Among Us“. Stabil liefen die Spiele nicht wirklich, denn aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass eigentlich jedes Game mit Bugs und Abstürzen zu kämpfen hatte. Eine neue Game-Engine war seitens TELLTALE lange angedacht, doch dazu kam es nicht mehr. Mitten in der Entwicklung zur finalen (vierten) „The Walking Dead“-Season musste der Entwickler Insolvenz anmelden. Einige Mitarbeiter wurden von SKYBOUND GAMES für die Fertigstellung der letzten verbleibenden Staffel-Episoden rekrutiert. Seit dem zweiten Spiel, welches Ende 2013 an den Start ging, übernehmen Spieler die Kontrolle über Clementine, die sich fortan nicht nur durch die trostlose Welt voller Beißer kämpfen muss, sondern auch vom verängstigten Kind zum Zombie-erprobten Teenager heranwächst.

Allein… mal wieder

Clementine streift einsam durch die entvölkerte Postapokalypse. Der Weg ist beschwerlich, hauptsächlich weil Clem im andauernden Kampf gegen die Untoten ein Bein eingebüßt hat (zu sehen im Game „The Walking Dead: The Final Season“) und sich das unwegsame Gelände als weiterer Feind entpuppt. Gegen lauernde Streuner kann sie sich trotz ihres Handicaps nämlich noch immer gut wehren. Auf ihrem Weg Richtung Norden trifft sie auf eine kleine Gruppe Amish-Mädchen, die in der Gegend patrouillieren. Sehend, dass das fremde Mädchen sich im Alleingang schwertut, laden sie Clem in ihre Gemeinschaft ein. Rabby, eigentlich Zahnarzt, hat das perfekte Händchen, wenn es um das Anfertigen von Prothesen geht. Schnell schneidert er Clem ein passendes Modell zurecht, womit der Aufenthalt in der friedvollen Gruppe für sie schon wieder beendet sein soll. Sie will unbedingt weiter.

Die Nacht ist kurz und Clementine muss sich erst an ihre neue Gehhilfe gewöhnen, weshalb sie nicht sehr weit kommt. Am folgenden Morgen läuft sie regelrecht dem Jungen Amos in die Arme. Amos macht sich mit seiner Kutsche auf, um im nördlich gelegenen Vermont dabei zu helfen, eine sichere Heimstatt auf dem Berggipfel zu errichten. Ein abgeriegeltes Fort, welches nicht nur der untoten Bedrohung, sondern auch dem tödlichen Winter standhält. Obwohl Clem sich innerlich sträubt, kann sie den gutmütigen Amos nicht seinem Schicksal überlassen, schließlich erweckt er nicht den Eindruck, dass ihm das Zombie-Killer-Talent in die Wiege gelegt wurde. Was soll’s… schließlich haben beide in etwa das gleiche Ziel, warum dann nicht den Weg gemeinsam beschreiten?

Am Hang der verschneiten Berge - und somit am Ziel - angekommen, entpuppt die erwartete Gruppe sich als leicht überschaubares Grüppchen, bestehend aus drei Teenagern. Angeführt von zwei äußerst mysteriösen Zwillingen. Neben Freundschaften entwickeln sich auch Rivalitäten. Und langsam aber sicher droht die Situation allen Anwesenden zu entgleiten…

Streuner in der zweiten Reihe

Die Frage, die sich natürlich unweigerlich aufdrängt: Wie weit muss ich mit dem „Walking Dead“-Kosmos vertraut sein, um „Clementine“ folgen zu können? Muss ich zwingend die vier Spiele (TELLTALEs „Michonne“-Spin-off in drei Episoden mal ausgenommen) gezockt haben? Die Antwort auf die erste Frage kann ich ganz einfach mit einem „Überhaupt nicht“ beantworten. Weder Comic noch TV-Serie stehen der Handlung der Graphic Novel um Clem im Wege. Selbst wenn in den Spielen mal einzelne Charaktere (wie z.B. Hershel Greene) als Randfiguren auftauchten, steht die Story - wie eingangs schon kurz erwähnt - auf eigenen Beinen. Da es in „Clementine - Buch Eins“ immer wieder kurze Flashbacks vorheriger Ereignisse gibt, kann es nicht schaden, mit den Spielen vertraut zu sein. Ein Muss ist dies aber nicht, da auch zwischen den einzelnen Spielen Zeit vergeht und jede neue Season mit einem neuen Status Quo eingeleitet wird. Wem die Graphic-Novel-Story gefällt, kann durchaus anschließend noch in die TELLTALE-Welt eintauchen, denn deren Geschichte ist überaus packend und (im wahrsten Sinne) reißerisch inszeniert. Spieler werden nicht selten vor schwierige Entscheidungen gestellt, die die Spielwelt selbst in späteren Seasons (dank übergreifender Speicherstände) noch beeinflussen können.

Überraschenderweise konnte man die amerikanische Comic-Künstlerin Tillie Walden für die Fortführung von Clementines Weg gewinnen. Überraschend deshalb, weil man von der Texanerin bislang nur autobiografische oder eigenständige Werke kannte, keine Lizenz-Arbeiten. Ihre meist feministischen Comics über Selbstfindung und Entdeckung der eigenen (Homo)sexualität konnten Kritiker international begeistern, was ihr nicht nur mehrfach Eisner- und Ignatz-Awards einbrachte, sondern auch zweimal den renommierten Rudolph-Dirks-Award für „Pirouetten“ und „West, West Texas“. Letzteres konnte mich zwar nur ansatzweise abholen, wohingegen das spacig-queere „Auf einem Sonnenstrahl“ (alle bei REPRODUKT erschienen) mit einem epischen Umfang von mehr als 500 Seiten als bisheriges Highlight ihrer noch jungen Karriere angesehen werden darf.

Dagegen flacht „Clementine - Buch Eins“ wieder etwas ab, was es nicht zu einem schlechten Comic-Buch macht. Ganz und gar nicht, jedoch hätte es nicht unbedingt den „The Walking Dead“-Background gebraucht, damit die Story funktioniert. Wie so oft schon in der TV-Serie, sind die namensgebenden Untoten hier eigentlich nur schmückendes Beiwerk bzw. Stichwortgeber, damit die gefährlich-postapokalyptische Welt in den richtigen Augenblicken auch bedrohlich bleibt. Die Figuren und ihre Beziehungen untereinander sind Dreh- und Angelpunkt. Da kommen wieder Tillie Waldens Stärken zum Tragen, ohne die dieser Trilogie-Auftakt wohl ziemlich beliebig und dahinplätschernd ausgefallen wäre. Da ist definitiv noch Luft nach oben und lässt auf mehr Tiefe in den Fortsetzungen hoffen, damit die Kluft zwischen Lizenz-Produkt und Charakter-Drama überbrückt wird.

Graue Welt

Tillie Walden ist nicht die begnadetste Illustratorin unter der Sonne, so ehrlich darf man sein. Beeinflusst von Manga und Anime, sind diese Vorlieben ihren Zeichnungen deutlich anzusehen. Im Gegensatz zu „Auf einem Sonnenstrahl“ sind Waldens Zeichnungen in „Clementine“ viel schroffer. Der Einsatz von Tusche, um mit unzähligen kratzigen Details die Rohheit dieser abdankenden Welt darzustellen, ist nicht selten übertrieben. Gerade in Spannungsmomenten saufen Bildelemente im tiefen Schwarz regelrecht ab, was auf Kosten der Übersicht geht. Hier fällt es schwer, der Handlung noch Bild für Bild zu folgen. Auf farbliche Akzente wurde (bis auf Graustufen) verzichtet. Das ist allerdings passend gewählt, da Kirkmans Ur-Serie „The Walking Dead“ ursprünglich ebenfalls in schwarz-weiß erschien, bevor die „Deluxe“-Neuveröffentlichung eine kolorierte Fassung nachlieferte. Ein netter Bonus ist, dass Walden im Anhang eine Seite mit ihren genutzten „Werkzeugen“ zeigt. Vom iPad über diverse Fineliner und billigstem Papier von Staples findet man die ganze Bandbreite zwischen analogem und digitalem Zeichnen.

Fazit:

Wer mit dem zu Tode gerittenen Zombie-Genre eh schon abgeschlossen hat, wird wohl auch mit „Clementine“ nicht wirklich glücklich werden. Verständlich wäre es, aber auch schade, da Tillie Walden den Fokus doch sehr auf die Figuren und ihre Entwicklung lenkt. Alte „Walking Dead“-Hasen und Freunde der TELLTALE-Games können zugreifen, da Walden den Charakter von Clementine gut einfängt, auch wenn die emotionale Ebene - zumindest bei mir - noch nicht ins Tiefschwarze trifft.

Clementine - Buch Eins

Tillie Walden, Tillie Walden, Cross Cult

Clementine - Buch Eins

Ähnliche Comics:

Deine Meinung zu »Clementine - Buch Eins«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Alita:
Battle Angel

Der „Große Krieg“ ist seit 300 Jahren vorbei. Unter der gigantischen Himmelsstadt Zalem, der letzten ihrer Art, befindet sich Iron City. Hier sind alle Strukturen zusammengebrochen, was die Straßen - speziell nach Einbruch der Dunkelheit – zum gefährlichen Pflaster werden lässt. Im Jahr 2563 sind Cyborgs keine Seltenheit mehr und viele von ihnen verdienen sich ihr Geld als Kopfgeldjäger… sogenannte Hunter-Warrior. Titelbild: © 2019 Twentieth Century Fox

mehr erfahren