Die Erde unterwegs
Der Tag, an dem die Erde stillstand...
Die Sonne stirbt. Als Wissenschaftler zu dieser Erkenntnis kommen, sind die Tage der Erde – und somit der Menschen – gezählt. Oder doch nicht? Ein Raumschiff, das die Menschen beherbergen und zu einem anderen, bewohnbaren Planeten transportieren könnte, gibt es nicht. Also wird der Entschluss gefasst: Die Erde wird selbst zum Raumschiff.
...und ins All katapultiert wurde
Der Protagonist von „Die wandernde Erde“ erblickt das Licht der Welt, als es eigentlich gar kein Licht gibt. Denn damit die Erde ihre Wanderschaft beginnen kann, muss die Erddrehung erst gestoppt werden. Durch die Augen des Protagonisten erleben wir, wie die Erde auf ihre Wanderung vorbereitet wird und was das mit den Menschen macht – sowohl als Individuen als auch als gesamte Gesellschaft.
Sci-Fi für Nerds
Das mag vielleicht nach einer Dopplung klingen, ist aber im Fall von „Die wandernde Erde“ absolut angebracht. Wenn man hier Sci-Fi à là „Star Wars“ erwartet, wo nur am Rande auf die technischen Details der Raumschiffe oder anderen Schnickschnack eingegangen wird, sollte man sich auf was gefasst machen. Denn Autor Cixin Liu nimmt keine Rücksicht auf meinen geisteswissenschaftlichen Abschluss. Um seine ganzen Ausführungen in die Physik, Astronomie, Ingenieurswesen usw. zu verstehen, braucht man mindestens einen naturwissenschaftlichen Doktortitel. Zwar werden im Anhang auf einer Seite einige Theorien und Fachbegriffe erläutert, aber so richtig nachvollziehen konnte ich die Wissenschaft hinter der wandernden Erde nicht.
Überlebensgroße Bilder
Aber das ist auch gar nicht das Ziel von „Die wandernde Erde“, weder von der Kurzgeschichte von Cixin Liu noch von der Comic-Adaption von Christophe Bec und Stefano Raffaele. Die Adaption hält sich weitestgehend an die Vorlage des chinesischen Autors, der Mehrwert ist aber definitiv die Bildsprache. Mit sehr viel Liebe fürs Detail zeichnet sich Raffaele die Seele aus dem Leib. Gewaltige Tsunamis, leere Eiswüsten – die Folgen der Vorbereitungen für die wandernde Erde werden krass vermittelt. Um das alles noch krasser in Szene zu setzen reichten aber wohl nicht ganzseitige oder doppelseitige Bilder. An zwei Stellen präsentiert Raffaele auf einer aufklappbaren, vierseitigen (!!) Strecke, wie gewaltig das alles ist. Leider bleiben bei diesen ganzen Naturaufnahmen und Bildern von riesigen Machwerken die kleinen auf der Strecke. Ich hatte nicht so recht das Gefühl, vom Leben der Menschen ein gutes Bild bekommen zu haben. Die Flugschiffe, die Städte, die Wohnungen – alles sah sehr austauschbar aus.
Dafür sehr blasse Figuren
Ebenso wenig wie die Welt habe ich die Figuren kennengelernt. Es gibt eine Reihe von großen Katastrophen und persönlichen Tragödien, die das Leben des Protagonisten am laufenden Band erschüttern. Doch ähnlich wie bei dem Protagonisten haben diese lebensverändernden Ereignisse emotional wenig bei mir ausgelöst. „Die wandernde Erde“ reiht sich in dieser Hinsicht in das Klischee, dass Wissenschaft und Logik in den Menschen jegliche Gefühle auslöschen. Das finde ich sehr schade, denn dadurch, dass ich keine Sympathien für den Protagonisten hege, ist mir sein Schicksal recht egal. Dementsprechend verlieren die Ereignisse an Gewicht.
Trotzdem clevere Kritik
Auch wenn die Figuren die Devise „Logik über Gefühle“ vollkommen verinnerlicht haben, wird diese Idee an einigen Stellen auch kritisiert. Einerseits gibt es keine Liebe mehr und Beziehungen sind nicht mehr wichtig. Der Vater des Protagonisten verlässt die Familie, um einer neuen Liebschaft hinterher zu jagen, kommt aber irgendwann wieder, als wäre nichts gewesen. Kunst, Religion oder Philosophie sind zur Nebensache geworden und teilweise sogar gänzlich beiseitegeschafft worden. Denn was haben diese Themen mit dem Überleben der Menschheit zu tun? Alles steht im Licht der Wissenschaft und Technik, die die wandernde Erde möglich machen.
Fazit:
Obwohl diese Kritik immer wieder durch die Geschichte hindurchblitzt, ist mir „Die wandernde Erde“ zu nüchtern. Die Idee, dass die Menschheit die Erde so manipuliert, dass sie als gigantisches Raumschiff durch das Weltall treibt, ist so groß und unglaublich, dass ich mir etwas mehr Gefühl gewünscht hätte. An diesem Punkt sind die Bilder von Raffaele ein großer Pluspunkt. Er schafft es wunderbar, dieses Grandiose einzufangen. Vor allem die zwei Maxi-Splashpages sind hervorragend.
Cixin Liu, Christophe Bec, Stefano Raffaele, Splitter
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