Von drauß' vom Walde komm ich her…
„Sie sieht aus wie eine Fee.“
Die friedliche Stille des Waldes wird durch ein mächtiges Feuer unterbrochen. Flammen lodern auf der anderen Seite einer riesigen Mauer, über die sich mit letzter Kraft ein junges Mädchen schleppt. Unbekleidet, verletzt und dicht verfolgt vom verschlingenden Feuer, stolpert sich panisch durchs Geäst, bevor sie sich in einen rettenden Tunnel flüchten kann…
Sie erwacht in einem kleinen Dorf, bevölkert von… ja, von wem oder WAS eigentlich? Gnome oder Kobolde? Trolle? Die Rasse der Waldbewohner wird noch im Dunkeln gelassen, unterscheidet sich jedoch grundlegend von der menschlichen Gestalt des Mädchens. An ihrem Namen kann sie sich nach der anfänglichen Verwunderung nicht mehr erinnern. Ebenfalls nicht, wo sie herkam… oder warum funkelnder Staub über ihrem Kopf schwebt, weshalb die kleine Gemeinde im Neuankömmling eine Art Fee sieht. Das einzige, an das sie sich erinnern kann, ist das Feuer. Und die große Mauer.
Herzlich aufgenommen will sie sich aber nicht mit ihrem Schicksal abfinden und Arbeit auf dem Feld leisten, während der männliche Teil des Volkes in den Wald zieht, um auf die Jagd zu gehen. Sie ist fest entschlossen Licht in ihre Vergangenheit zu bringen und folgt unauffällig den Jägern, die auf der Suche nach einem gewaltigen Hirsch sind. Tatsächlich überrascht der aggressive Hirsch den unvorbereiteten Trupp! Doch bevor die Begegnung in einem kompletten Fiasko endet, hält das Tier plötzlich ein… Schon fast ehrfürchtig stoppt es vor der namenlosen Fremden. Anscheinend weiß der Hirsch, wer dort vor ihm steht.
Zurück im Lager, wird die erfolgreiche Jagd ausgiebig gefeiert. Während das Mädchen ohne Erinnerung sich erschöpft zurückzieht, steht eine Hexe vor den Toren der kleinen Gemeinde. Regelmäßig scheint diese das Dorf aufzusuchen… und auch sie weiß, wer dort eingekehrt ist. Eine Erkenntnis, die sie uns und auch dem Mädchen gegenüber voraushat.
„Ich bin dein Schutzengel!“
Als sie am nächsten Morgen erwacht, ist das Dorf verlassen. Wie ausgestorben. Verzweifelt und mutterseelenallein wurde sie zurückgelassen. Warum ist das eigentlich nette Völkchen so überstürzt aufgebrochen? Das Mädchen ist ratlos… und macht sich auf, Antworten zu finden. Wieder wagt sie sich in den gefährlichen Wald. Und schon bald wird sie fündig. Nicht nach Antworten, dafür läuft ihr aber ein zukünftiger Begleiter über den Weg. Ein angeblicher Wolf, der zwar nach ALLEM aussieht (vor allem nach einem Fuchs), nicht aber nach einem Wolf. Er gibt sich als Schutzengel aus, dessen Aufgabe es ist, das Mädchen mit der verschleierten Vergangenheit an sein Ziel zu führen… ob es ihm passt oder nicht… denn die mysteriösen Schattenjäger warten schon, um das noch im Nebel liegende Schicksal des Mädchens zu besiegeln.
Beschützerinstinkt
Als ich das unglaublich stimmige Front-Motiv dieses Bandes zum ersten Mal sah, wusste ich schon, dass ich dieses Comic-Album unbedingt lesen wollte. Dieser verletzlich wirkende Blondschopf, dessen Haupt leuchtend das Sonnenlicht reflektierte, das schwach durch die dichten Baumwipfel fiel. So hockte sie in Schutzhaltung auf einem Felsen. Den Blick betrübt ins Leere gerichtet. Nur augenscheinlich sicher im spärlichen Licht, während blutrote Augen sie aus der Finsternis beobachteten. Bedrohlich und lauernd. Ein krasser Kontrast, zwischen unschuldiger Zerbrechlichkeit und dem unbarmherzigen Bösen. So nah beieinander. So nah, dass man sofort schützend eingreifen möchte…
Naturschönheit
Nicht nur das zuckersüße Mädchen mit der schwammigen Vergangenheit ist bezaubernd in Szene gesetzt, sondern der gesamte erste Band des Zweiteilers. Verantwortlich dafür ist der italienische Zeichner Federico Bertolucci. Wahrlich kein Unbekannter unter den Comic-Schaffenden, denn der Künstler arbeitete bereits für Disney und lieferte die Illustrationen für die Fantasy-Fabel „Richard Löwenherz“ (Dani Books), denen man auch deutlich das geübte Disney-Händchen ansah. Das war nicht nur wunderschön anzusehen, sondern auch der Grundstein einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem französischen Comic-Autor Frédéric Brrémaud. Gemeinsam schufen sie auch die gefeierte Reihe „Love“ (Popcom), die sich in jedem Band einem anderen Tier widmete und ohne Wörter auskam. Für die Bände „Eine kleine Reise“ (Popcom), blieben Bertolucci und Brrémaud der Tierwelt treu, bevor sie sich nun mit „Brindilla“ (Splitter) der Fantasy und auch der fantastisch in Szene gesetzten Natur hingeben.
Und hier sind Federico Bertoluccis Illustrationen erneut eine Wucht sondergleichen. Sehr detailliert und schwungvoll-verspielt haucht er der mysteriösen Geschichte, die sich nur Stück für Stück offenbart, Leben ein. Die Farben bleiben dabei stets natürlich und erdig, was der Freiluft-Kulisse nur noch mehr zu Gute kommt. Zart gleiten die Farbtöne ineinander, wirken dabei niemals knallig oder aufdringlich. Das ist unglaublich schön fürs Auge und saugt den Leser sofort auf.
Das gelungene „Skizzenbuch“ zeigt neben Roh-Entwürfen noch ganzseitige Zeichenstudien in verschiedenen Stilen, sowie brillante Bilder mit Gemälde-Charakter. Das Splitter-Album im gewohnten Großformat ist die perfekte Basis für die optimale Wirkung der eindrucksvollen Zeichnungen. Ab Mai soll schon das Finale dieses traumhaften Zweiteilers verfügbar sein.
Fazit:
Hut ab, Hose runter und noch schnell einen Knicks gemacht… „Brindilla“ ist künstlerisch auf hohem Niveau und lädt zum Eintauchen ein. Dass die Geschichte ihr wahres Potential nur häppchenweise entfaltet, lässt den Leser an jeder der insgesamt 96 Seiten kleben. Auch am Bonusmaterial, denn dieses punktet mit tollen Illustrationen des Künstlers Bertolucci.
Brrémaud, Federico Bertolucci, Splitter
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