Blutspur

Blutspur
Blutspur
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonOkt 2018

Story

(K)ein Duell auf Augenhöhe. Ein zynischer Blutsauger, der schulterklopfend seine Überlegenheit demonstriert und nicht ganz uneigennützig die Selbstzerstörung der Menschen anprangert.

Zeichnung

Stimmungsvolle schwarz-weiß-Zeichnungen, denen nur ein Quäntchen Dynamik zur perfekten Albtraum-Darstellung fehlt. Der Stil ist atmosphärisch, Proportionen und Körperhaltung bisweilen etwas ungelenk. Minimaler (und zu verschmerzender) Punktabzug.

The Lost Boy

„Willst du weiterleben? Willst du das?“

Mit diesen Worten verabschiedet er sich in die Nacht. Er, die schlanke Gestalt im schwarzen Anzug, deren elegantes Auftreten nicht vermuten lässt, was sich wirklich hinter der blassen Fassade verbirgt. Er, der Nacht für Nacht durch die Straßen der Stadt streift, stets auf der Suche. Der Suche nach dem Kick. Der Suche nach dem Fix… nach Beute. Er, der Jäger. Er liebt die Jagd. Und er macht sie zu einem Spiel… zu SEINEM Spiel.

Die allnächtliche Opfersuche gestaltet er nach seinen Wünschen, verfolgt jedoch ein Ziel dabei. Nahrung. Lebenssaft. Am Ende läuft es immer auf dasselbe hinaus. Seine erlegte Beute stillt seinen Durst. Verschafft ihm mehr Zeit auf Erden. Trotz der spielerischen Kreativität, mit der er seine regelmäßigen Jagdausflüge versucht abwechslungsreich zu gestalten, wollen seine Opfer sorgfältig gewählt sein. Ein zu gieriger, unbedachter Biss könnte schnell der Letzte sein… selbst für ein Geschöpf der Nacht. Zu sehr hat die Menschheit über die Jahrhunderte unfreiwillig selbst die vampirische Nahrungsquelle versiegelt. Drogen, Medikamente, Alkohol… all dies hat das menschliche Blut verunreinigt, es ungenießbar gemacht. Regelrecht vergiftet. Krankheiten… Aids, Leukämie, Ebola… sorgten für die Dezimierung der Verwandelten. Einen geeigneten Durstlöscher zu finden gerät zum Glücksspiel. So viele Menschen, so wenig geeignetes Material… vergleichbar mit einem Schiffbrüchigen. Dem Verdursten nah und umgeben von Millionen und Abermillionen Litern von Wasser… Salzwasser… Ironie des Schicksals, oder?

Der Jäger hat seine Beute ins Auge gefasst. Eine Gruppe von drei Leuten, die durch die Straßen streift. Zwei junge Männer, eine junge Frau. SIE soll es sein. SIE soll seinen Durst stillen… zumindest vorläufig. Für diese Nacht. Den beiden unerwünschten Begleitern entledigt sich der selbstbewusste Vampir schnell. Einer ist eh unbrauchbar… Aids. Krankheiten übertragen sich. Da hilft es auch nicht, dass man Graf Dracula höchstpersönlich zu seiner Blutlinie zählen darf. Ein ordentlicher Schluck würde das Ende bedeuten… oder es zumindest einläuten.

Für die junge Frau ist der Verlust ihrer Begleiter nur der Anfang einer unendlich erscheinenden Nacht. Ihr übermenschlicher Verfolger ist in Spiellaune und hat die Hetzjagd soeben gestartet. Die Spiele sind eröffnet und nur er kennt und macht die Regeln.

F**K YOU, EDWARD! HIER KOMMT… Moment, wie heißt der eigentlich?

Das Böse braucht keinen Namen, das wird in dem packenden Überlebens-Kampf aus der Feder von Michael Mikolajczak schnell klar. Die inneren Monologe des namenlosen Vampirs verschaffen einen Blick in dessen Gedanken. Gedanken, in denen er sich vom Abschaum Mensch deutlich distanziert. Diesen belächelt, verhöhnt und sich selbst an die Spitze der Nahrungskette stellt. Auch in den sparsamen Konversationen zwischen den Protagonisten stellt er klar seine angebliche Überlegenheit zur Schau. Schüchtert sein potentielles Opfer ein. Demonstriert seine Macht und „Güte“, indem er ihm immer wieder neue Chancen in Aussicht stellt… all dies nur zu seiner eigenen Belustigung. Um seinen Spieltrieb zu stillen. Den Spieltrieb, den er mit einem durstlöschenden Biss krönen will. Der finale Akt… bevor es in der nächsten Nacht von vorne beginnt. Neues Spiel. Neues Opfer. Neuer Kick.

Dabei ist die junge Frau, die der Bespaßung ihres Verfolger dient (heißt es nicht: mit dem Essen spielt man nicht?) nicht die klassische „Jungfrau in Nöten“. Ganz gewiss nicht. Hier gibt es keine klassische Rollenverteilung, bei der man dem hilflosen Opfer die Daumen drückt und angespannt mitfiebert. Das altbekannte „Final Girl“, das über sich hinauswächst und gestützt vom sympathisierenden Beobachter zum erlösenden Gegenschlag ausholt. Bereits eine anfängliche Taxifahrt und der Umgang mit dem Fahrer zeigt, dass das menschliche Trio verachtenswert ist, sich respektlos verhält und dementsprechend auch die junge Frau alles andere als einen Sympathieträger darstellt. Hier gibt es kein Weiß gegen Schwarz. Hell gegen Dunkel. Licht gegen Schatten. Gut gegen Böse. Vielmehr läuft der Leser Gefahr, die Motivation des Jägers nachvollziehen zu können. Sich mit ihm zu identifizieren. Ihm anerkennend zuzunicken. Dünnes Eis, das unter den gewichtigen Aussagen und Anschuldigungen des Vampirs zu brechen droht.

AB Rhesusfaktor negativ

Nur rund 1% der deutschen Bevölkerung verfügt über diese Blutgruppe, die damit die weltweit Seltenste darstellt. Ich wage zu behaupten, dass deutsche Genre-Beiträge… vor allem GELUNGENE Genre-Beiträge… ähnlich rar gesät sind. In Michael Mikolajczaks packendem Katz-und-Maus-Spiel wird die Vampir-Thematik, die durch den lange anhaltenden und oft kopierten Kitsch-Kult rund um die „Twilight“-Saga oftmals belächelt wird und nicht unbedingt die düsterste Blutsauger-Seite repräsentiert, wieder auf Spur gebracht und geht das Thema entsprechend ernsthaft und unromantisch an. Keine Glitzer-Vampir-Bübchen und schmachtende Liebeserklärungen, die jedem Werwolf die Rückenhaare zu Berge stehenlassen. Ähnlich wie in „30 Days of Night“ von Ben Templesmith und Steve Niles weht auch bei Mikolajczaks „Blutspur“ der nächtliche Wind aus der richtigen Richtung.

Die atmosphärischen schwarz-weiß Zeichnungen von Illustrator Holger Klein („Tödliches Spiel“, „Kann denn Liebe Sünde sein?“) kommen der Atmosphäre ungemein zugute. Die düstere Stimmung lebt von Kleins großflächigem Schattenspiel und würde unter einer unnötigen Kolorierung eine Menge ebensolcher einbüßen. Leider wirken seine Charaktere hier und da etwas steif, beziehungsweise werden Bewegungsabläufe etwas ungelenk und perspektivisch ungünstig dargestellt. Ein Manko, das dem Lesevergnügen aber nicht zu schwer ins Gewicht fällt. Einige Bilder scheinen direkt bekannten Genre-Werken entliehen. So wirkt eine Panel-Darstellung des Vampirs wie eine exakte Kopie von Kiefer Sutherlands Charakter David Powers aus dem ‘87er Kult-Streifen „The Lost Boys“ von Joel Schumacher. Dies kann aber durchaus als Reminiszenz an das Vampir-Genre betrachtet werden und soll dem Künstler keineswegs negativ ausgelegt werden.

2019 arbeiten Autor Michael Mikolajczak und Illustrator Holger Klein erneut zusammen und entführen uns ins „Paradies“. Dieses Werk wird - ebenso wie „Blutspur“ – beim Verlag Kult Comics erscheinen, wo in diesem Jahr auch das apokalyptische Highlight „Ratten“ von Michael Mikolajczak in Zusammenarbeit mit Sascha Dörp publiziert wurde. „Blutspur“ ist in einer - optisch sowie haptisch - einwandfreien und hochwertigen Hardcover-Ausgabe erschienen, die auch in Papier- und Druck-Qualität überzeugen kann.

Fazit:

Schwarz-weiße Bilder als Spiegel einer schwarzen Seele. Pechschwarz… wie die Nacht, in der die Geschichte spielt. Ein Kammerspiel unter freiem Nachthimmel. Spannend. Blutig. Schonungslos. Frei nach dem Motto: Der Mond ist voll und ich hab auch schon Durst.

Blutspur

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