Die Tudor(s)
Geschichten aus dem Königshaus
Nicht die aktuellen Dramen, wohlgemerkt. Keine Storys aus der Klatschpresse darüber, wer mal wieder nicht mit wem spricht, sich oscarreif vermarktet, die Gerüchteküche für Schmierfinken am laufen hält oder Namensdiskussionen über den neusten Adels-Nachwuchs. Themen, die mich genau DAS interessieren, was Lisbeths royale Corgis ihr vermutlich im Windsor’schen Garten hinterlassen. Wir gehen weiter zurück. Viel, viel weiter. Genauer gesagt, ins Jahr 1518… denn hier beginnt die Geschichte von Mary Tudor (auch Maria Tudor).
Geboren wurde die Tochter von König Henry VIII. (auch Heinrich VIII.) und Katharina von Aragon im Jahr 1516. Eigentlich wäre Mary das fünfte Kind der Eheleute gewesen, jedoch verstarben ihre Geschwister entweder kurz nach oder sogar bei der Geburt. Ein männlicher Thronfolger, wie vom König erwünscht, blieb lange Zeit aus. So wurden schon früh Bündnisse geknüpft und Mary wurde bereits im Alter von zwei Jahren mit François de France, dem Sohn des französischen Königs Franz I. verlobt, der im selben Jahr, 1518, erst das Licht der Welt erblickte. Aus heutiger Sicht arg befremdlich, doch das Leben am Königshof hat noch mehr zu offenbaren, was zum Kopfschütteln einlädt. Da Katharina von Aragon in den Augen ihres Gemahls ihren Pflichten nicht nachkam und ihm keinen Sohn schenkte, sah Henry sich anderweitig um. Soll heißen, er schwängerte eine Hofdame seiner eigenen Gattin, der zuletzt reiner Wein eingeschenkt wurde, nachdem man sich am Hofe bereits weitläufig das Maul zerriss. Eine Demütigung sondergleichen, doch von royaler Reue keine Spur. Und bei weitem nicht die einzige Affäre des Königs.
1525 bekam Prinzessin Mary auf Wunsch ihres Vaters ihren eigenen Hofstaat in Ludlow Castle in Wales. Dort begann sie ihre Schulbildung unter Aufsicht der Gouvernante Margaret Pole, die wie eine zweite Mutter für sie wurde. Gleichzeitig genoss Mary, trotz ihres noch jungen Alters, bereits hohes Ansehen beim Volk. Eine geeignetere Thronfolgerin konnte man sich nicht vorstellen. Nur hatte der König da auch noch ein Wörtchen mitzureden…
Bei einem rauschenden Fest am Hofe, fiel nicht nur Mary auf, wie sehr ihr Vater sich an die Konkubine Anne Boleyn ranschmiss. Auch Katharina blieb nicht verborgen, wie ihr Mann der Zofe schöne Augen machte. Und trotzdem traf es sie wie ein Hammerschlag, als ihr verkündet wurde, dass Henry das Ehebündnis annullieren lassen wollte. Zu diesem Zweck wollte er sogar den Papst überzeugen, dass die jahrelange Gemeinschaft nie Gültigkeit besaß. Henry VIII. setzte sein Vorhaben in die Tat um. 1533 wurde Anne Boleyn zur Königin von England gekrönt. Mehr noch, ließ Henry sich zum Oberhaupt der Kirche ernennen. Diese beiden Hiobsbotschaften sorgten für Unmut in der Bevölkerung, die freilich lieber dir junge Mary auf dem Thron gesehen hätte. Doch Mary wurde ihr Status als Prinzessin aberkannt. Ann Boleyns Kinder sollten fortan Anrecht auf den königlichen Thron haben. Eine Tatsache, mit der sich Mary keinesfalls zufriedengeben wollte…
Mit wohlgesonnenen Vertrauten und dem unerschütterlichen Glauben an ihrer Seite, stellte Mary Tudor sich allen Widrigkeiten. Sie widersetzte sich den demütigenden Tiefschlägen ihres Vaters, der ihr sogar jeglichen Kontakt mit ihrer Mutter Katharina verbot, und sie systematisch von ihren Bezugspersonen trennen wollte. Stets den Blick auf ihr eigentliches Ziel gerichtet: Den Thron von England.
Optisch wie inhaltlich ansprechende Geschichtsstunde
Dass bei allem Mitleid, das man bei ihrer Lebensgeschichte für Mary Tudor empfinden könnte, auch nicht aus dem Blick verloren wird, dass die Kurzzeit-Königin trotz ihrer überschaubaren Regierungszeit durchaus mit harter Hand waltete, ist Kristina Gehrmann zu verdanken. Immerhin brachte Mary Tudor rund 300 Protestanten auf den Scheiterhaufen, als sie erneut den Katholizismus im Land etablieren wollte, wovor die in Hamburg lebende und arbeitende Künstlerin keinesfalls die Augen verschließt. Im semi-realistischen Stil, der die Charaktere recht einfach und aufs nötigste reduziert darstellt, bleibt der Fokus stets auf Mary. Freilich werden die historischen Ereignisse des 16. Jahrhunderts ebenfalls aufgenommen, jedoch nicht so vertieft, dass die Figur in untergeordnete Sphären fällt. Als Leser sind wir stets an Mary Tudors Seite und somit hautnah dabei, wie aus Maria der Heiligen letztendlich Maria die Blutige wird.
Kristina Gehrmann hat durchaus eine Vorliebe für historische Stoffe. Der erste Band (und gleichzeitig ihr Comic-Debüt) ihrer Graphic Novel-Trilogie „Im Eisland“ (HINSTORFF) wurde 2016 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und befasste sich mit der gescheiterten Franklin-Expedition Mitte des 19. Jahrhunderts in der Arktis. Auch ihr Nachfolge-Werk „Im Dschungel“ (CARLSEN), basierend auf dem 1906 erstmals komplett erschienenen sozialkritischen Roman von Upton Sinclair, wurde sehr gut aufgenommen und selbst in den Vereinigten Staaten, wo Sinclairs Buch zum Klassiker der US-Literatur zählt, positiv hervorgehoben.
Königliche Aufmachung!
Das Format, in welchem der CARLSEN Verlag „Bloody Mary - Die Geschichte der Mary Tudor“ untergebracht hat, ist dem einer Graphic Novel wahrlich würdig. In gebundener Form und mit Struktur-Einband. Dazu noch tiefengeprägte Goldschrift auf Front, Buchrücken und -rückseite. Alles sehr hochwertig verarbeitet, sodass auch für Leserinnen und Leser, die Wert auf eine augenschmeichelnde Präsentation legen (wovon ich mich nicht ausnehme), keinerlei Wünsche offenbleiben.
Im Anhang werden noch historische Fakten ergänzt und zeigen, was aus den einzelnen Charakteren geworden ist. So gibt Kristina Gehrmann dort auch schon einen kleinen Ausblick darauf, was ihr kommendes Comic-Projekt sein wird. Besonders interessant fand ich den Blick hinter die Kulissen. Im doppelseitigen Making-of erklärt Kristina Gehrmann, wie sie bei der Arbeit an „Bloody Mary“ vorgegangen ist und welche Materialien sie nutzte. Ich hätte nicht vermutet, dass die gesamte Geschichte digital gezeichnet und getuscht wurde. Für die analoge Kolorierung nutze die Künstlerin dann Farbtusche, die für die besonders schönen Farbverläufe in der Graphic Novel verantwortlich ist. Dazu gibt es weitere Einblicke auf dem YouTube-Kanal von Kristina Gehrmann.
Fazit:
Mit „Bloody Mary - Die Geschichte der Mary Tudor“ ist der Künstlerin – sowie dem Verlag, der für die ansprechend-passende Präsentation des Hardcovers verantwortlich ist – eine fesselnde Geschichtsstunde geglückt, die sich auf keiner der 336 Seiten danach anfühlt, als würde man gerade historische Fakten lesen. Wieder was gelernt… und dabei noch blendend und packend unterhalten worden.
Kristina Gehrmann, Kristina Gehrmann, Carlsen
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