Stop… HAMMER-TIME!
Herzlich willkommen…
…Lucy! Die Tochter des verstorbenen „Black Hammer“ , Joseph Weber, ist auf der Farm gelandet. Wie sie dort gelandet ist, kann sie sich nicht erklären. Ebenso wie die ehemaligen Superhelden von Spiral City, die nach ihrem Kampf gegen den Anti-Gott mit einem Lichtblitz aus ihrer gewohnten Umgebung entfernt wurden und sich (schneller als Thanos mit den Fingern schnippen könnte) in einem verlassenen Kaff mitten im Nirgendwo vorfanden. Zehn Jahre zogen seit dem Vorfall ins Land und man hat sich – zumindest teilweise – mit der Situation arrangiert. Wohl oder übel… denn ein Entkommen ist nicht möglich. Eine unsichtbare Barriere bindet die Farmer wider Willen an diesen Ort. Nun ist auch Lucy eine von ihnen… eine Gestrandete… oder Verlorene.
Wo „Familien“-Oberhaupt Abraham Slam schon längst resigniert hat, ist Lucy noch ehrgeizig und voller Tatendrang. Sie will sich nicht mit einer neuen, ihr aufgezwängten Heimat durch höhere, noch unerklärliche Mächte abfinden. Sie beginnt, mehr über den mysteriösen Ort in Erfahrung zu bringen und forscht in der angrenzenden Kleinstadt nach. Als erfahrene Journalistin hat sie ein Auge für außergewöhnliche Vorkommnisse und stößt alsbald auf mehrere Ungereimtheiten. Ist hier alles nur Fassade? Eine Scheinwelt? Und… warum sind alle Buchseiten in der örtlichen Bibliothek, die mehr über die Stadt verraten könnten, leer?
Auch die bisherigen Farm-Bewohner haben so ihre Probleme: Abe bekommt es mit der Polizei zu tun, nachdem seine Freundin Tammy mit ihrem Ex-Mann – dem Sheriff – aneinandergeraten ist. Da dieser sie bedrohte, schwört der wutentbrannte Senior, sich diesen zur Brust zu nehmen. Als Sheriff Earl Trueheart tatsächlich kurz danach von der Bildfläche verschwindet, fällt der Verdacht natürlich auf Abraham… was ihn zusätzlich in Tammys Gunst sinken lässt. Abe beteuert seine Unschuld. Ist ihm jemand zuvorgekommen?
Auch Mark – die menschliche Gestalt des marsianischen Kriegers Barbalien – hat es nicht leicht. Die Gefühle, die er für den örtlichen Priester hegt, lassen sich nicht länger verheimlichen. Es nagt an ihm und er setzt alles auf eine Karte…
Am schlimmsten erwischt es jedoch den Roboter Talky-Walky. Seit Jahren versucht dieser Sonden zu bauen, die die unsichtbare Mauer, die sie alle gefangen hält, überwinden können, um so Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Alle bisherigen Versuche blieben erfolglos, doch die Anomalie, die Lucy auf die Farm brachte, könnte neue Erkenntnisse liefern. Könnte sich ein solches Portal reproduzieren lassen? Und könnte es als Verbindung dienen, um eine neue Sonde nach draußen zu schicken? Talky-Walky wittert einen Hoffnungsschimmer und macht sich gleich an die Arbeit… allerdings wird dieses Vorhaben plötzlich und unerwartet unterbrochen… sabotiert. Noch schlimmer… der Soboteur kommt aus den eigenen Reihen!
Leck mich fett und nenn mich Herbert… is‘ das GUT!!!
Was sich der kanadische Autor Jeff Lemire („Der Unterwasser-Schweißer“) hier wieder gekonnt aus dem Ärmel schüttelt ist schlichtweg genial und geht weit über das herkömmliche Superhelden-Genre hinaus. Hat der erste Band schon ALLES richtig gemacht und die Charaktere hervorragend eingeführt, merkt man in „Das Ereignis“ schnell, dass dort nur an der Oberfläche gekratzt wurde. Auch sind es hier wieder die kleinen und leisen Momente, die den Charakteren und deren Erscheinungsbild beim Leser zugutekommen. Die Geschichte macht zwar keine Quantensprünge und serviert auch keine Antworten mit dem Holzhammer, geht aber dafür ordentlich in die Tiefe. Hier entsteht nämlich die eigentliche Magie. Wir lernen die Figuren noch besser kennen, erfahren von deren Vergangenheit… von der Zeit, als sie noch strahlende Helden waren… ein Privatleben hatten. In jedem Einzelheft des Sammelbandes wird uns ein Charakter nähergebracht und mehr beleuchtet. So zum Beispiel das erste Aufeinandertreffen von Colonel Weird und Talky-Walky… oder Golden Gail, die ihr kindliches Superhelden-Cape an den Nagel gehängt hat, um ein „richtiges“ Leben zu führen… inklusive allem, was dazugehört. Partnerschaft… Liebe… auch, wenn es sich bei ihrem Auserwählten um den geläuterten Superschurken Sherlock Frankenstein, einen untoten Ghul, handelt (welcher mittlerweile sein eigenes, ebenfalls im Splitter Verlag erschienenes Spin-Off „Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels“ erhalten hat). „Das Ereignis“ gestaltet sich extrem abwechslungsreich und wirft eine Menge neuer und spannender Fragen auf. Das Mysterium um die Farm und die angrenzende Kleinstadt bleibt (glücklicherweise) bestehen und Elemente eines Mystery-Thrillers kommen hinzu. Mal ehrlich… jetzt schon eine Aufklärung zu liefern, wäre doch auch eine große Enttäuschung gewesen, oder? Die Story ist einfach ZU gut, um vorschnell aufgelöst zu werden. Da steckt noch eine Menge mehr drin… und wenn es einer gekonnt aufs Papier bringen kann, dann Jeff Lemire.
Goldige Renaissance
Erneut wird dem „Golden Age“ in Wort und Bild gehuldigt. Wie schon im Auftakt „Vergessene Helden“ orientieren die Zeichnungen sich an den Anfangstagen der Superhelden-Comics. Dean Ormston zeichnet klassisch, teils steif, bringt jedoch die Emotionen der Akteure treffend zur Geltung. Dies ist auch nötig, da Lemires tiefgehende Charakterisierungen sonst in Luft verpuffen würden. So wird das Ergebnis erfreulicherweise homogen und verbindet eine ernsthafte, teils nachdenklich stimmende Geschichte mit Comic-Kunst aus vergangenen Tagen. Auch wenn „Retro“ mal wieder voll im Trend ist und spätestens seit „Stranger Things“ die 80er an jeder Ecke wieder anzutreffen sind (und manchmal auch kilometerweit am erhofften Ziel vorbeischießen)… HIER funktioniert es hervorragend. Auch ein von Zeichner David Rubín gestaltetes Kapitel (US-Heft #9) fügt sich gut ins Gesamte ein, da hier das erste Zusammentreffen von Colonel Weird und Roboter Talky-Walky thematisiert wird, welches auf einem fremden Planeten stattfand. Lediglich die übertriebene Mimik der Charaktere weicht von Ormstons Stil ab. Auch dargestellte Bewegungen erinnern eher an Cartoons, als an „goldene Zeiten“.
Fazit:
Oftmals folgt nach einem bärenstarken Auftakt eine Ernüchterung in Folgebänden. Auf diese wartet man hier vergebens… ganz im Gegenteil. „Black Hammer“ hält konstant sein hohes Niveau und legt nochmals zu. Selten scheinen sich Comic-Freunde so einig zu sein, wie bei Jeff Lemires Superhelden-Geniestreich. Wer denkt, dass die allgemeinen Lobeshymnen zu laut und die gegebenen Wertungen zu hoch sind, hat „Black Hammer“ einfach noch nicht gelesen… beziehungsweise noch nicht erlebt. Der dritte Band kann gar nicht früh genug erscheinen.
Jeff Lemire, Dean Ormston, Splitter
Deine Meinung zu »Black Hammer - Bd. 2: Das Ereignis«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!