Die Autobahn der Sonne
Hilfe, ich werde von einem Neonazi gejagt!
Alexandre himmelt Karim an. Er findet den jungen Mann mit seinem 50er-Jahre-Stil übercool und dass er viel Erfolg bei den Frauen hat, ist für Alexandre noch ein Pluspunkt. Als Karim aber eben wegen einer Frauengeschichte in große Schwierigkeiten gerät, hilft ihm Alexandre, und so müssen jetzt beide vor Neonazis fliehen. Entlang der Autoroute du Soleil versuchen die beiden, ihre Verfolger loszuwerden, geraten aber immer wieder in Schwierigkeiten. Es artet dermaßen aus, dass Alexandre und Karim am Ende nicht nur von einem verrückten und mordlüsternen Rechtsradikalen gejagt werden, sondern sogar ein Drogenkartell sie in die Finger kriegen will.
25 Jahre alt und dennoch sehr aktuell
Zwei junge Franzosen mit Migrationshintergrund werden von Rechtsradikalen und Neonazis verprügelt und gejagt. Baru hat vor 25 Jahren eine Geschichte zu Papier gebracht, die – leider – noch immer aktuell ist. Der Typ, der Karim und Alexandre ans Leder will, ist ein hochrangiger Politiker einer rechtsextremen Partei, der zwar im Laufe der Geschichte immer verrückter wird, aber vor allem am Anfang Taktiken einsetzt, die man immer noch aus diesem politischen Lager kennt. Er hetzt in seinen Kreisen gegen Karim und erzählt, er und Alexandre hätten seine Tochter vergewaltigt und ins Koma geprügelt. Der Mythos des vergewaltigenden Ausländers wird heute noch benutzt, um gegen bestimmte Menschen zu hetzen.
Aber nicht nur der sehr eklatante Rassismus der rechten Ecke kommt in Barus Comic vor, auch Alltagsrassismus ist immer – wie im echten Leben – hinter der Fassade erkennbar. Denn beide Hauptfiguren haben einen Migrationshintergrund. Alexandre ist der Sohn italienischer Einwanderer, Karim hat nordafrikanische Wurzeln. Alexandre wird als Franzose anerkannt, Karim bleibt aber ewig „der Araber“. Allein hier lässt sich schon klar der Unterschied erkennen, der zwischen den beiden gemacht wird. Auch die Beschreibung der beiden, die immer wieder durchgegeben wird, lautet: Der Araber und der Typ mit gebleichten Haaren.
… aber diese Frauen!
Rassismus und dessen Darstellung ist Baru tatsächlich sehr gut gelungen. Was mich aber massiv stört, ist, wie er Frauen in die Geschichte einbaut. Sie sind reine Sexobjekte, die immer geil sind. Und wenn sie es nicht sind, sind sie kreischende, nerventötende Bestien. Im Zug etwa lernen Alexandre und Karim zwei junge Frauen kennen: Eine große und kurvige Frau mit Schlafzimmerblick und eine kleine, runde Brillenschlange. Dreimal könnt ihr raten, mit wem Karim direkt Sex hat und wer als Zicke abgestempelt wird.
Das fragwürdige Frauenbild wird aber angesprochen, keine Sorge! Ein einziges Mal spricht Alexandre Karim darauf an und fragt, ob er nicht frauenfeindlich sei. Diese Szene dauert ein oder zwei Panels, danach ist das Thema durch. Das hat dazu geführt, dass ich mich jedes Mal richtig geärgert habe, wenn eine Frau im Comic aufgetaucht ist. Das hat mir das Lesen schon ziemlich vermiest.
Bilder zwischen Manga und Asterix
Ursprünglich wurde „Autoroute du Soleil“ für den japanischen Markt geschaffen und das merkt man dem Comic an. Alexandre könnte zwar der Urururururur-und-so-weiter-Enkel von Asterix sein, aber die Dynamik der Figuren und vor allem ihre Mimik sind sehr Manga-esk. Lachtränen oder Angstschweiß fließen überdimensioniert und Münder und Augen werden sehr groß, entweder vor Schreck oder vor Lachen. Dass das nicht komisch wirkt, liegt an den sehr karikaturesken Figuren. Der Neonazi-Politiker hat ein Kartoffelgesicht, die Augen sind durch die wulstige Stirn bedeckt. Aber nicht nur die „Bösen“ sind so gezeichnet. Auch Karim und Alexandre sind sehr überzeichnet. Während Alexandre eine Knollennase und eine komische Frisur hat, hat Karim sehr krasse Wangenknochen und eine Hakennase – und natürlich eine - ganz nach dem Stil der 50er Jahre - überdimensionierte, hochtoupierte Tolle.
Was mir am Zeichenstil am meisten gefallen hat, ist die graue Kolorierung. Mit verschiedenen Schattierungen und Farbintensitäten wirkt das Schwarz-Weiß sehr lebendig und dynamisch. Mir gefällt auch der Kontrast zwischen den dicken Linien, mit denen die Figuren und die Umgebung gezeichnet sind, und die fließende und teilweise ineinanderfließende graue Farbe.
Nur manchmal war etwas zu viel Dynamik im Bild, vor allem in actionreichen Sequenzen. Da verliert man schnell den Überblick. Es gibt z.B. eine Szene, in der Karim und Alex vor Neonazis weglaufen und in einen wartenden LKW springen. Erst sieht man Karim im Vordergrund, hinter ihm steht Alexandre. Das nächste Panel zeigt ein Bein, der dazugehörige Oberköper verschwindet im Fahrerhaus und Arme strecken sich nach dem Bein. Auf der nächsten Seite sieht man, wie Alexandre sich bemüht, einzusteigen und Karim um Hilfe anschreit. Auf dem nächsten Panel sieht man einen Fuß, der den Verfolger ins Gesicht tritt. Sehr dynamisch und flott erzählt, aber ich musste die Sequenz ein paar Mal durchlesen, bis ich verstanden habe, dass das Bein, das man sieht, Alexandre gehört.
Fazit:
Die graue Farbgebung und die sehr dynamisch gezeichneten Figuren sind sehr spannend und auch wie Baru den offensichtlichen Rassismus der Rechtsextremen mit dem Alltagsrassismus der „normalen“ Leute aufzeigt, finde ich gut gelungen. Trotzdem hatte ich nicht so viel Spaß mit „Autoroute du Soleil“, wie ich wollte. Grund dafür ist das absolut grauenhafte Frauenbild, welches hier vorherrscht. Entweder sind die weiblichen Figuren dauergeile Sexfantasien oder unausstehliche Zicken. Da hätte ich mir gewünscht, einfach mal keine Frauen zu sehen.
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