Ein kleiner Schritt für einen Androiden, ein großer Schritt für die Menschheit.
Das sind die Worte des Androiden AC7+, als er nach seiner Rückkehr zur Erde erstmals den Boden betritt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er nicht, wieviel Wahrheit in seiner Aussage steckt, die immerhin auf eines der größten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit zurückgeht.
Aber der Reihe nach: AC7+ ist ein Android auf der ISS Oxygen, einem gigantischen Forschungsraumschiff, das im Jahr 2426 mit einer 3.600 Mann starken Crew aufgebrochen ist, um benachbarte Sonnensysteme zu besuchen. Da die Reise 600 Jahre andauern sollte, wurde ein Großteil der Crew in den Kälteschlaf versetzt. An Bord gibt es auch Familien mit Kindern und AC7+ dient als Gesellschaftsandroide. Er spielt mit den jungen Passagieren und erzählt ihnen Geschichten.
Nach einiger Zeit gerät die ISS Oxygen in einen gewaltigen Meteorschauer. Das Raumschiff ist schwer beschädigt, bis auf wenige Ausnahmen die Crew getötet und eine Rückkehr zur Erde aufgrund des Verlustes der Energiereserven erst in 1.000 Jahren möglich. Da während des Kälteschlafes der Alterungsprozess nicht aufgehalten, sondern nur verlangsamt wird, wären alle Passagiere bis zur Ankunft auf der Erde tot. Dieser Umstand setzt Passagieren derart zu, dass sie sich das Leben nehmen.
Nur der zehnjährige Odysseus - ein auf der ISS Oxygen geborener Junge - kann es schaffen, die Erde vor seinem Tod zu erreichen. Und so setzt AC7+ alles daran, den Jungen bis dahin am Leben zu erhalten. Einzige Gesellschaft des Androiden: Schiffscomputer „Isabella“. Nach 927 Jahren im Kälteschlaf und im Alter von 100 Jahren erreicht Odysseus mit AC7+ die Erde.
Steinzeitmensch trifft auf High-Tech-Gottheit
Bei ihrer Landung müssen die Heimkehrer feststellen, dass sich einiges verändert hat. Die futuristischen Großstädte sind nahezu verlassen, die Natur hat sich ihren Platz zurückerobert. Eine Epidemie - ausgelöst durch einen Impfstoff - hat alle erwachsenen Menschen ausgelöscht, nur eine kleine Zahl junger Kinder wurde verschont. So hat sich die Menschheit stark zurückentwickelt. Wissen, Technologie, Sprache, Intelligenz - der Homo Sapiens fängt von vorne an.
Kurz nach der Landung trifft AC7+ auf die erste Menschengruppe, in Fell gekleidet mit einfachsten Waffen ausgestattet. Für diese wiederum ist der Androide eine Gottheit - vom Himmel herabgestiegen. AC7+ wird entsprechend verehrt - eine Ehre, die nicht nur ihm zu Teil wird. Es gibt ein weiteres technologisches Relikt aus der Vergangenheit. Dieses hegt zudem weit weniger friedvolle Absichten, handelt es sich auch um einen Kampfdroiden - aggressiver und mächtiger als AC7+. Und diese intelligente Maschine hat mit dem derzeitigen Zustand der Menschheit offenbar weit mehr zu tun, als zunächst bekannt. Ein Aufeinandertreffen der „Götter“ scheint unausweichlich.
Und dann ist da noch Odysseus. 100 Jahre alt, mit schwachem Herz und dem Geist eines zehnjährigen Kindes. Er kennt die Erde nur aus Überlieferungen und hat entsprechend wenig emotionale Ankerpunkte auf die er zurückgreifen kann. Und es gibt noch eine Sache, die zwischen ihm und AC7+ steht…
Zurück in die Zukunft
„Glücklich wie Odysseus“ basiert eigentlich auf einer einfachen Grundidee. Der Mensch wird in seiner Entwicklung zurückgeworfen und begegnet seiner selbst geschaffenen Technologie. Im Streben nach perfekter Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten hat der Mensch die beinahe Auslöschung selbst verursacht. Der Neuanfang gestaltet sich für die Menschen schwierig, vergessen sind die Errungenschaften vergangener Jahrhunderte. Der Mensch bekämpft sich noch immer gegenseitig und sucht „göttlichen“ Beistand.
Dass der zweite Band der Androiden-Reihe aus dem Splitter-Verlag überaus gut gefällt hat mehrere Gründe: Olivier Peru erzählt vor allem eine spannende Science-Fiction Geschichte um einen Androiden, der vor neue Herausforderungen gestellt wird und darüber in seinem menschlichen Verhalten reift. Viele unterschiedliche Facetten und Aspekte werden in eine stimmige Dramaturgie eingebunden. Von künstlicher Intelligenz und ihrer Fähigkeit zu Emotionen und menschenähnlichem Verhalten bis zu uralten Konflikten zwischen Menschen und ihren Göttern. Und natürlich halten auch klassische Science-Fiction Motive Einzug.
Kritische Ansätze und Gedankengänge werden nicht auffällig laut in den Vordergrund gespielt. Es gibt keine bedeutungsschwangeren, philosophische Ausführungen oder gar erhobene Zeigefinger. Peru gestattet bei aller Spannung und Dramatik viel naiven Charme und humorvolle Untertöne. Daran haben insbesondere - eigentlich müssten man sagen ausgerechnet - die wortgewandten Dialoge zwischen AC7+ und Schiffscomputer Isabella großen Anteil.
Der Fokus liegt auf Hauptfigur AC7+ und seiner Persönlichkeitsentwicklung. Er gewinnt als zielstrebiger Beschützer und Retter der Menschheit alle Sympathien der Leser. Über sein Verhalten vergisst man schnell, es mit einem Androiden zu tun zu haben. Die Beziehung zu Odysseus ist dabei von besonderer Bedeutung. Der Junge wollte den Rückflug zur Erde nicht die ganze Zeit im Kälteschlaf verbringen und rang AC7+ ein nicht haltbares Versprechen ab. Die Stunden von Odysseus auf der Erde sind gezählt…
Die Zeichnungen von Geyser wirken jünger und weicher, als ich bei dem ersten Blick auf das Cover erwartet hätte. Doch sie setzen das Abenteuer jederzeit passend und stimmungsvoll in Szene. Geyser geht nah an die Hauptfigur heran, insbesondere die Mimik von AC7+ wird betont ausgearbeitet. Die Kolorierung von Sébastien Lamirand gibt den Bildern mit gesättigten Farben und atmosphärischer Lichtstimmung einen modernen Look. Das Aufeinandertreffen von AC7+ und dem Kampfdroiden ist spektakulär inszeniert und gehört sicher zu den Highlights, ebenso wie die filmreife Endsequenz mit monumentalem Schlussbild.
Fazit:
Das Ende ist ergreifend und setzt einen emotionalen Schlusspunkt hinter eine jederzeit spannende und kluge Erzählung. Und wenn AC7+ im Epilog die Geschichte „von einem Kind, das tausend Jahre zwischen den Sternen verbracht hat, um einen Tag auf der Erde zu leben“ erzählt, wünscht man sich, es gäbe jemanden wie AC7+ unter uns.
„Glücklich wie Odysseus“ ist durchaus gehaltvolle, vor allem aber äußerst unterhaltsame Science-Fiction und dürfte nicht nur erwachsenes Publikum ansprechen.
Inhaltlich und optisch kann Band 2 der Androiden-Reihen überzeugen und gefällt mir insgesamt besser, als der - trotzdem ebenfalls lesenswerte – Auftakt-Band aus der Androiden-Reihe, die aus insgesamt 4 Bänden mit in sich abgeschlossenen Geschichten besteht. Für Juni 2018 ist Band 3 angekündigt.
Olivier Peru, GeyseR, Splitter
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