„Das einzige Spiel in der Stadt“
Wednesday hat die Würfel ins Rollen gebracht, doch hält er sich nach wie vor bedeckt was Details bezüglich des großen Krieges zwischen neuen und alten Göttern auf amerikanischem Boden angeht. Statt dass es für Shadow nun ans Eingemachte geht, soll er sich unter dem Pseudonym Mike Ainsel im beschaulichen Städtchen Lakeside, Wisconsin, einquartieren – oder besser: dort untertauchen. Denn nach der Entführung durch die seltsamen Agenten im letzten Band muss Shadow vorübergehend an einen Ort, wo er keine Aufmerksamkeit erregt, damit er anschließend wieder auf Abruf stehen kann, so Wednesday.
Wider Erwarten gefällt es Shadow im frostigen Lakeside: trotz gefährlicher Temperaturen tut es ihm gut, für sich zu sein, Ruhe zu haben und einmal nicht von Göttern, toten Exfrauen oder anderweitigen schillernden Gestalten belästigt zu werden. Außerdem begegnen die Einheimischen, allen voran der herzliche, ältere Mr. Hinzelman, ihm mit offenen Armen. Und abgesehen von einem kurzen „geschäftlichen“ Abstecher nach San Francisco, zu dem Wednesday Shadow mitschleift, scheint dieser Zustand des Einkehrens langfristig angelegt zu sein. Doch Shadows schicksalsschwangere Träume künden von etwas anderem – und so dauert es nicht lange, bis sich Risse in der Fassade zeigen. In Lakeside verschwinden Kinder – und das nicht zum ersten Mal…
„Noch immer fielen die Sterne vom Himmel…“
Ähnlich wie im Vorgänger hält sich auch in diesem Band der Comicadaption von Neil Gaimans modernem Fantasy-Meisterwerk American Gods die Hauptfigur Shadow eher am Rande auf, statt im Zentrum des sich an bahnenden göttlichen Konflikts zu stehen. Wohingegen dies in Band 2 aber noch seine Längen hatte, springt der Funke diesmal eher über. Lakeside bietet einen Mikrokosmos Amerikas, und die Momente der Reflektion, zu denen Shadow nunmehr Gelegenheit hat, bringen einem die Charaktere näher als zuvor. Doch auch in diesem Band bieten sich Gelegenheiten für die abgedrehten, bedeutungsschweren Momente, welche diese Story ausmachen (z.B. die Kurztrips mit Wednesday – einmal Vegas, einmal Frisco –, auf denen dieser weitere Gottheiten für seine Sache gewinnen will; oder Shadows prophetische Träume). Gleichzeitig verleiht die kurzfristige Abwechslung dieser Sequenzen den beschaulicheren, aber ebenso dichten Passagen mit „Mike Ainsel“ in Lakeside mehr Gewicht. Das Gefühl, dass sich hinter den Kulissen etwas zusammenbraut, bleibt dennoch die ganze Zeit aufrecht erhalten, sodass die Spannung auf die Fortsetzung noch erhöht wird.
„Erfundene Geschichten gestatten es uns, durch andere Augen zu sehen und stellvertretend, aber gleichwohl unversehrt zu sterben…“
Stilistisch fällt es nach wie vor schwer, sich an Scott Hamptons ruppigen Stil zu gewöhnen, der – besonders im oftmals statischen Figurendesign – sperrig ist. Da dieser Band handlungstechnisch auch noch eine Ecke ruhiger und verhaltener daherkommt als die bisherigen, gibt es weniger Gelegenheiten für Hampton, diesen Eindruck mit seiner dynamischen Gestaltung auszugleichen und der Ästhetik mit seinen psychedelischen Ideen Highlights zu verleihen. Die Farbpalette des Lakesider Winters ist vor allem grau in grau, und (sowohl inhaltlich als auch optisch) farbenfrohere Szenen in diesem Band spärlicher gesät. Positiv hervorzuheben ist auf jeden Fall das Zusammentreffen mit „Easter“ bzw. Ostara, der Verkörperung von Frühling und Fruchtbarkeit. Die zarten Pastelltöne, die sie stetig zu umspielen scheinen, bringen die Figur in ihrer ganzen Leichtigkeit kongenial rüber.
Leider wird dieser Band nur durch eines der bekannten „Zwischenspiele“ aufgelockert (das sich diesmal auch noch komplett am Ende befindet), dafür ist dieses aber besonders stark: Es erzählt die Geschichte von den jungen Zwillingen Agasu und Wututu, die im ausgehenden 18. Jahrhundert als Sklaven nach Amerika verschifft werden. Gegeißelt und geknechtet, schwingt er sich zum Widerstandskämpfer auf, den listigen Gott Elegba auf seiner Seite; sie hingegen unterrichtet schließlich in New Orleans eine gewisse Marie Laveau (die später zur berüchtigten Voodoo-Queen aufstieg) in den Bräuchen und Riten der alten Heimat, die durch all die Jahre von Hass und Schmerz nicht totzukriegen waren und in den USA auf fruchtbaren Boden fallen. Dieses Kapitel durfte Mark Buckingham - einer der Gastzeichner, die sich sonst für die Variantcover verantwortlich zeichnen - zu Papier bringen. Und hier sprühen die Farben förmlich von den Seiten, und die Szenerien sind anschaulich und mitreißend präsentiert. Wieder einmal wünscht man sich, dass Hampton in der Umsetzung der Haupthandlung mehr mit diesen anderen Künstlern zusammenarbeiten würde, denn dann könnte sich das volle Potential dieser Graphic Novel offenbaren.
Fazit:
Nach wie vor bleibt der große Knalleffekt aus – im Mittelpunkt stehen weiterhin die Randgebiete des göttlichen Krieges, und auch visuell kann die Graphic Novel immer noch nicht vollends überzeugen. Dennoch ist American Gods auch in Comicform absolut lesenswert und übt eine nachhaltige Faszination aus, die immer Lust auf mehr macht.
Neil Gaiman, Scott Hampton, P. Craig Russell, Splitter
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