Stippvisiten in der Traumfabrik
„Berüchtigt“ (USA; 1946)
Als Alfred Hitchcock mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten übersiedelte, hatte sich sein Ruf schon international gefestigt. 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, kam der Meister-Regisseur in der Traumfabrik an und ging direkt ans Werk. Bereits ein Jahr später erschien der Psychothriller „Rebecca“, welcher auf einer literarischen Vorlage von Daphne du Maurier basiert. Nicht die erste und auch nicht die letzte Adaption der Schriftstellerin, die mit den Hitchcocks ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Der 1963 gedrehte Genre-Meilenstein „Die Vögel“ fußt ebenfalls auf einer Kurzgeschichte der englischen Autorin. 1941 wurde „Rebecca“ bei der Oscar-Verleihung zum besten Film gekürt. So trug bereits die erste Zusammenarbeit mit dem Produzenten David O. Selznick Früchte. Dieser gehörte dank „King Kong und die weiße Frau“ (1933) und „Vom Winde verweht“ (1939) zu Hollywoods Top-Elite. Der Anfang war also gemacht…
„Der unsichtbare Dritte“ (USA; 1959)
Und obwohl sich immer mehr Türen öffneten, jedes von Hitchcocks neuen Werken mit brennender Neugier des Publikums erwartet wurde und Filme wie „Verdacht“ (1941), „Das Rettungsboot“ (1944), „Ich kämpfe um dich“ (1945), „Das Fenster zum Hof“ (1954) und Thriller-Primus „Psycho“ (1960) allesamt ins Rennen um den besten Film des Jahres gingen, wurde der Regisseur von der Jury eher stiefmütterlich behandelt. Ein dunkler Fleck auf dem weißen Hemd des Filmemachers, was Hitch dazu veranlasste, sich selbst als ewige „Brautjungfer“ zu bezeichnen, die nie die Hauptrolle auf einer rauschenden Gala spielt. So blieben auch die roten Teppiche in Cannes stets ein heißes Pflaster für den beleibten Filmemacher mit der Vorliebe für hübsche Blondinen. In den 50er-Jahren wurde Hitchcock dann gerade in Frankreich zur Leitfigur aufstrebender Jung-Regisseure, die den trägen Erzählfluss der festgefahrenen Filme der Nachkriegszeit aufbrechen wollten. Die Nouvelle Vague (deutsch: neue Welle) wollte wieder an alte Zeiten anknüpfen, mutiger und experimentierfreudiger sein. Als Hitchcock 1954 für Dreharbeiten an die Côte d'Azur reiste, führten zwei junge Redakteure der französischen Kino-Zeitung „Cahiers du Cinéma“ ein Interview mit ihm. Die zum Sonderheft angewachsene Ausgabe über die Regie-Ikone wurde ein großer Erfolg, was den Redakteuren Éric Rohmer und Claude Chabrol die Möglichkeit eröffnete, im Anschluss ein Buch über die Arbeit Hitchcocks zu verfassen. Das 1957 veröffentlichte Werk erschien erst 2013 in einer deutschen Übersetzung. Rohmer und Chabrol wurden selbst zu wichtigen Vertretern der Nouvelle Vague und zählen zu den einflussreichsten europäischen Regisseuren. Ebenso François Truffaut, der vor seiner Filmkarriere ebenfalls als Redakteur und Filmkritiker begann. Dessen 1966 veröffentlichtes Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ entstand nach einem 50-stündigen Interview. Noch heute zählt das umfangreiche Werk zur Standardliteratur für Filmbegeisterte. Da war Alfred Hitchcock, dessen letzter Film „Familiengrab“ 1976 nach dem Roman von Victor Canning entstand, natürlich längst im Olymp angekommen… allerdings ohne den begehrten Regie-Oscar.
„Village of Stars“ (nicht realisiertes Filmprojekt)
Der zweite und abschließende Band der Comic-Biografie widmet sich also der Zeit, die Alfred Hitchcock in den Mühlen der Traumfabrik verbracht hat. So schnelllebig und sprunghaft, wie man sich den Hollywood-Zirkus vorstellt, ist „Der Meister des Suspense“ dann auch ausgefallen. Im Akkord springen wir vor und zurück, noch mal zurück, dann wieder nach vorne und anschließend zurück an den Anfang. Als Biografie lässt sich dieser zweite Band deshalb nur mit viel Wohlwollen bezeichnen. Eher als Einblick in die Filmwelt, inklusive Mauscheleien, Vetternwirtschaft und den Abschlüssen möglichst lukrativer Deals. Das ist durchaus nicht uninteressant, kratzt jedoch nur an der Oberfläche. Außerdem sollte man mit dem Schaffen Hitchcocks zumindest etwas vertraut sein, um bei den ständigen Sprüngen ohne tieferen Sinn und logischer Kontinuität nicht auf der Strecke zu bleiben. Außerdem vermisse ich tiefere Einblicke in Hitchs Privatleben, die im ersten Band noch prominenter vertreten waren. So bleibt „Der Meister des Suspense“ ein Schaulaufen berühmter Hollywood-Stars und ein Ablaufen der wichtigsten Stationen von Hitchcocks USA-Karriere.
Zeichnerisch wird das Niveau des Vorgängers gehalten. Schon in „Der Mann aus London“ fiel auf, wie treffsicher Dominique Hé viele Gesichter bekannter Stars wiedergeben konnte. Nur selten gab es Komplett-Entgleisungen, welche eher befremdlich wirkten. Das bleibt auch hier die Ausnahme. Wenn man sich die gezeichneten Ebenbilder von Doris Day und Reggie Nalder aus „Der Mann, der zuviel wusste“ (1956) ansieht, könnte man meinen, dass Hé direkt über fotografische Vorlagen gemalt hat. Sonst gibt es keine großen Ausreißer… weder nach oben, noch nach unten.
Fazit:
Wer sich generell für das Thema Film begeistern kann, wird mit der etwas löchrigen Hitchcock-Biografie schon Freude haben. Die sprunghafte Erzählweise macht es jedoch unnötig kompliziert und wirkt wie das Abhaken von wichtigen Karrierestationen, anstatt in die Tiefe zu gehen. Das Loch in der Wand, welches einen Blick auf das Privatleben der Hitchcocks offenbaren würde, hat man wohl inzwischen beseitigt. Schade, denn so bleibt es etwas eintönig.
Noël Simsolo, Dominique Hé, Splitter
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