Realitätsfluch(t)
Mittendrin statt nur dabei
Wenn’s mal wieder irgendwo brennt und die Superschurken freidrehen, ist der Adventureman mit seiner kunterbunten, extravaganten Eingreiftruppe zur Stelle, um das Böse in seine Schranken zu weisen. Mit der Einnahme eines Superserums steigern sie ihre Kräfte ins Unermessliche, was beim Kampf gegen Baron Bizarr und seine Allianz des Bösen auch dringend notwendig ist, denn nicht selten sind dunkle Mächte im Spiel. Dabei hält Adventureman stets die Zeiger der Apocalypsydra im Auge. Eine Uhr in ihrem Hauptquartier, die die Zunahme des menschlichen Leids misst… und sich bedrohlich gen Mitternacht bewegt.
Die gehörlose Claire Connell und ihr zehnjähriger Sohn Tommy lieben die „Adventureman“-Geschichten. Klassische Abenteuer-Storys aus alten Büchern, die Claire direkt von der Quelle organisiert. Sie hat den Buchladen ihrer verstorbenen Mutter übernommen und liest Tommy regelmäßig als Abendritual aus den angestaubten Wälzern vor. Ein entspannter Mutter/Sohn-Moment… vor allem, wenn zuvor mal wieder ein Familienessen bei Claires Dad anstand, zu dem sich dann meist auch ihre sechs Adoptivschwestern gesellen. Ein multikultureller Clash, der Claire des Öfteren dazu verleitet, ihr Hörgerät auszustellen, um dem wilden Geplapper zu entfliehen. Die heutige „Adventureman“-Story endet allerdings mit einem deftigen Cliffhanger, der zudem niemals aufgelöst wurde… Ende. Einfach so, im wahrscheinlich hoffnungslosesten und düstersten Moment der gesamten Geschichte. Tommy ist enttäuscht, bleibt ihm doch nur die Kraft der Fantasie, um den Helden vor einem schlimmen Ableben zu bewahren.
Hoffnung keimt auf, als eine mysteriöse und auffällig gekleidete Frau in Claires Buchladen aufkreuzt. Sie übergibt der überraschten Händlerin ein außergewöhnlich opulentes Exemplar mit dem Adventureman-Logo, von dem Claire nicht wusste, dass es überhaupt existiert. So schnell die Dame auftauchte, so schnell ist sie auch wieder verschwunden. Hinter dem Laden verfrachten sie zwei dunkel gekleidete Gestalten in ein schwarzes Gefährt. Bevor sie verschwinden, versucht die Frau noch zu beschwichtigen, dass es sich bei den vermeintlichen Entführern um ihre Bodyguards handle, doch Claire bleibt skeptisch. Besonders weil eine der dunklen Gestalten zurückbleibt und die verdutzte Buchhändlerin angreift! Claire wehrt sich und wird Zeugin, wie die Gestalt zu einem Insekten-Haufen in sich zusammenfällt. Was war das??? Ist das ein Nervenzusammenbruch? Wird sie verrückt?
Es wird noch merkwürdiger. Als Tommy das unbekannte Buch unter die Lupe nimmt, fällt ihm auf, dass dieses nicht aus dem Verlag der anderen „Adventureman“-Bücher stammt. Viel mehr scheint es eine Art Anleitung zu sein. Als Claire beschließt, die im Buch abgedruckte Adresse aufzusuchen, die in den Storys das Adventureman-Hauptquartier markiert und gleichzeitig die Anschrift des Verlags sein sollte, steckt sie schon mittendrin in ihrer ganz eigenen Abenteuer-Geschichte… und wird zum Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Pulp Fraction
Ich gebe zu, dass ich komplett ohne Erwartungen an „Adventureman“ gegangen bin. Eher bin ich sogar mit den falschen Erwartungen an den Band herangetreten. Der Titel „Adventureman“ und das Cover suggerierten das, womit die Geschichte lediglich eingeleitet wird: ein Pulp-Abenteuer mit klassischen Rollenverteilungen und typischen Gut-vs-Böse-Motiven. Neugierig gemacht hatte mich vor allem die Tatsache, dass Terry Dodson nicht nur für die Cover-Gestaltung, sondern auch für das Innen-Artwork zuständig war. Es gibt nämlich eine Handvoll Zeichner und Zeichnerinnen (gut… es sind ein paar mehr), von denen ich mir alles krallen würde, wo sie Hand anlegen. Dazu gehört auch Dodson, der wie meist in Kombination mit seiner Gattin Rachel zuschlägt, die seine Arbeiten mit sicherer Lineart tuscht. So dürfte es nicht überraschen, dass mir Dodsons aktuelles Werk – in seiner Pin-up-Ästhetik irgendwo zwischen Adam Hughes, J. Scott Campbell und Frank Cho verortet – optisch sehr zusagt. Die Panels sind prall gefüllt und es passiert eine Menge. Streckenweise gleicht „Adventureman“ einer wilden Achterbahnfahrt, bei der vor allem Rachel Dodson sich nicht über zu wenig Arbeit beklagt haben dürfte. Viele Schattierungen, die den modernen Look mit klassischen Pulp-Inszenierungen vermischen, treffen auf eine zurückhaltende Kolorierung. Dodson verzichtet auf knallige Farben und bedient sich einer blassen, überschaubaren Palette, was es im Endeffekt leichter macht, dem hohen Tempo der Story zu folgen.
Apropos Story… da war ja noch was! Diese ungewöhnliche Story, die Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen lässt und zu einem äußerst kreativen Genre-Mashup formt, stammt vom erfolgreichen Autoren Matt Fraction. Gekonnt spielt er mit den klischeebeladenen Merkmalen der Pulp-Ära und lässt dieses veraltete Bild durch die Wand unserer heutigen diversen und weltoffenen Gesellschaft brechen. Manchmal ist dies zwar plakativ, meist aber clever und vor allem unterhaltsam. Dass Fractions Comic den Namen „Adventureman“ trägt, seine Hauptfigur aber weiblich ist und zur Heldin der Gegenwart mutiert, ist ein weiterer Gruß in Richtung der vor Testosteron zerplatzenden Strahlemänner vergangener Tage. Wo „Doc Savage“, der Mann aus Bronze, welcher Wissenschaftler, Abenteurer, Arzt und Erfinder in Personalunion war, die eindimensionalen Schurken mit Links auf selbige Seite drehte, und „The Shadow“ schon vor einem gewissen „Batman“ zum nächtlichen Verbrecherjäger wurde, ist es heute eine gehörlose, alleinerziehende Mutter, die nicht nur die Tücken des Alltags bewältigt. Es dauert nicht lange, bis einem als Leser Claire und ihre chaotische Familie ans Herz wachsen, was vor allem Matt Fractions Figurenzeichnung zu verdanken ist. Der Ehemann der ebenfalls sehr erfolgreichen Comic-Autorin Kelly Sue DeConnick („Bitch Planet“, „Captain Marvel“, „Aquaman“) arbeitete bereits für alle großen Verlage und wurde für seine Arbeiten an „The Invincible Iron Man“, „Hawkeye“ und „Sex Criminals“ gleich mit mehreren Harvey- und Eisner-Awards ausgezeichnet.
Fazit:
Comic-Neulinge sollten gewarnt sein, dass „Adventureman“ sich nicht einfach lesen lässt. Hier wird mit Genres und Meta-Ebenen gespielt, was in Kombination mit dem hohen Tempo, welches auch durch die Bilder von Terry Dodson vorgelegt wird, schnell verwirrend wirken kann. Fest steht für mich jetzt schon, dass ich den ersten Band vor der Veröffentlichung der Fortsetzung noch mal zur Hand nehmen werde. Ansonsten bekommt man aber hervorragende Unterhaltung mit einer enorm sympathischen Hauptfigur und vielen Schauwerten.
Matt Fraction, Terry Dodson, Splitter
Deine Meinung zu »Adventureman - Buch 1: Das Ende und alles danach«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!