Text:   Zeichner: Jacques Tardi

Adele Blanc-Sec - Sammelband I

Adele Blanc-Sec - Sammelband I
Adele Blanc-Sec - Sammelband I
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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonApr 2022

Story

Ein bisschen Krimi, ein wenig Mystery und immer wieder phantastische Elemente. Manchmal etwas zu verschachtelt, aber stets unterhaltsam und unvorhersehbar.

Zeichnung

Tardis Linienführung ist großartig. Wären die verhauenen Gesichter nicht im Weg, wäre eine höhere Wertung durchaus in greifbarer Nähe.

Custom

Immer wenn sie Schundromane schrieb

Ach du dickes Ei!

Paris, 1911. Im Museum für Naturgeschichte sind die Lichter zur nächtlichen Stunde zwar erloschen, doch hinter den verschlossenen Türen steppt trotzdem ordentlich der Bär. Naja… nicht direkt ein Bär, dafür aber ein anderer, nicht minder gefährlicher Geselle. Aus einem 136 Millionen Jahre altem Ei schlüpft mir nichts dir nichts ein Perodi… Ptyro… Pterodo… ein Flugsaurier. Nach einer kurzen Runde durch den Ausstellungsraum scheppert das Ungetüm durchs Glasdach und entschwindet in die spätherbstliche Nacht. Was war geschehen? Nun, ziemlich zeitgleich springt im entfernten Lyon ein merkwürdiges Kerlchen freudig durch seine Stube. Das phänomenale Treiben im Museum und die Freude des Mannes stehen in unmittelbarer Verbindung. Genauer gesagt, sind das urzeitliche Viech und er miteinander verbunden. Medial etwas überbegabt, hat der Herr namens Philipp Boutardieu den Saurier regelrecht gekapert. Durch Telepathie hat er die Kontrolle übernommen und den Flattermann gar erst zum Schlüpfen „überredet“. Allerdings ist diese Kontrolle mit enormen Anstrengungen verbunden, die nicht konstant aufrechterhalten werden können. Sitzt Boutardieu mal nicht gerade am Steuer, hat der Saurier durchaus seinen eigenen Kopf… und gibt seinen angeborenen Instinkten nach. Schon bald gibt es die ersten Toten zu beklagen und in Paris macht sich die Angst breit.

Mitten in dieses wilde Treiben platzt Adele, die gerade erst wieder von einem Kurztrip in Paris eintrifft. In ihrem schweren Schrankkoffer befindet sich aber nicht ihr halber Kleiderschrank mit Wechsel-Garderobe für jeden Anlass, sondern die entführte Edith Rabatjoie. Entführt von Adele und ihren zwei Angestellten. Eine reichlich ungewöhnliche Art, eine „Heldin“ einzuführen, die sich direkt einen Stempel als vermeintlich Kriminelle abholt, doch Adele handelt nach bestem Gewissen. Edith Rabatjoies Vater ist dabei, eine geheimnisvolle Apparatur zu entwickeln, die kurz vor ihrer Fertigstellung steht. Da Adele dieses Gerät dringend benötigt, um einer guten Sache dienlich zu sein, soll die Geiselnahme der Tochter ihrem „noblen“ Vorhaben nochmals Nachdruck verleihen. Jedoch gibt es bei jeder guten Entführung unkalkulierbare Risiken. Davor ist auch Adele nicht gefeit. Nicht nur, dass während des Vorhabens so Einiges in die Hose geht, nein… da ist ja auch immer noch der unberechenbare Flugsaurier, der hungrig seine Runden über Paris dreht.

Des Weiteren legt sich Adele noch mit einer mysteriösen okkulten Sekte an, deren assyrischer Dämon Pazuzu ihr so lange über den Weg läuft, bis die ermittelnde Schriftstellerin ihm Auge in Auge gegenübersteht, bevor Adele auf einen 300.000 Jahre alten Urzeitmenschen trifft, den skrupellose Wissenschaftler zum Leben erwecken und zu einem Super-Soldaten modifizieren wollen. Es ist also eine Menge los im Paris des frühen 20. Jahrhunderts. Und da soll noch mal einer sagen, dass Schriftsteller ein langweiliges, zurückgezogenes Leben führen. Sacre bleu!!!

Verstopft

Der französische Comic-Künstler Jacques Tardi bemerkte in den 70ern, dass es der Comic-Welt an weiblichen Heldinnen fehlte. Die Figur, die ihm vorschwebte, sollte emanzipiert, taff und das komplette Gegenteil von den Damen sein, die sich hilfesuchend (und möglichst lasziv) an die Hälse der männlichen Comic-Laufkundschaft kletteten. So erschuf er Adele Blanc-Sec. Adele steht auf eigenen Beinen und geht einer (mehr oder weniger) geregelten Arbeit nach, indem sie Fortsetzungsromane von zweifelhafter literarischer Bedeutung verfasst. Ihr schroffes Auftreten im Paris der Belle Époque ist Lichtjahre von Sexbombe Barbarella entfernt und näher am Meisterdieb Arsène Lupin. Selbstbewusst und nie um eine Antwort verlegen, hat sie ihren ganz eigenen Stil. Selbstverständlich eckt sie mit dieser Art auch überall an, wo es nur geht, und manövriert sich in die haarsträubendsten Situationen. Dabei darf es auch gerne mal phantastisch und übersinnlich zugehen.

1976 erschien das erste Album der unkonventionellen Heldin und wurde nach einer Vorab-Veröffentlichung in einer auflagenstarken Tageszeitung gleich als Comic-Album auf den Markt gebracht. Keine Selbstverständlichkeit, erschienen die meisten Storys zu dieser Zeit doch in speziellen Comic-Magazinen. Für den renommierten CASTERMAN Verlag waren „Les Aventures extraordinaires d’Adèle Blanc-Sec“ ein beachtlicher Erfolg, weshalb weitere Abenteuer schnell beschlossene Sache waren.

Im ersten Sammelband des SCHREIBER & LESER Verlags sind die drei Geschichten „Adele und das Ungeheuer“, „Der Dämon vom Eiffelturm“ und „Der Affenmensch“ enthalten, welche in den 80er-Jahren noch einzeln im CARLSEN Verlag für die deutsche Leserschaft erschienen. Inhaltlich bauen die Geschichten aufeinander auf, wobei jedes enthaltene Album seine eigene Rahmenhandlung hat. So sehr mir dabei Tardis eigenwilliger Strich und seine detaillierten Umgebungen gefallen haben, so schwer konnte ich mich mit den Gesichtern seiner Figuren anfreunden. Häufig ein Knackpunkt bei mir, da ich Mimik ausgesprochen wichtig finde, um eine Atmosphäre bzw. Gefühlsregungen zu transportieren. Die Charaktere blicken meist derart verkniffen drein, dass man sich lebhaft vorstellen kann, wie sich zehn Tage Verstopfung anfühlen müssen. Damit arrangiert man sich zwar mit der Zeit, aber ein wenig befremdlich bleiben die mürrischen Blicke dennoch.

„In meine Arme!“

Während Adele in gedruckter Form höchstens wie eine etwas frischere und weniger zerknautschte Miss Marple wirkt, kommt ihr Film-Pendant hingegen daher, wie aus dem Ei gepellt. Richtig, Jacques Tardis ermittelnde Schriftstellerin hat es bereits 2010 auf die Kinoleinwand gezogen. Dort wurde sie charmant-rotzig von der französischen Schauspielerin Louise Bourgoin („Ein freudiges Ereignis“, „Das verflixte 3. Jahr“, „Wie in alten Zeiten“) verkörpert. Kein Geringerer als Luc Besson setzte sich hartnäckig dafür ein, dass Tardis Klassiker aufwändig umgesetzt wurde. Ein Wunschprojekt für den Regisseur der Genre-Highlights „Im Rausch der Tiefe“, „Nikita“, „Léon - Der Profi“ und „Das fünfte Element“. Trotz seiner Dienste für das internationale Filmschaffen war das geplante Projekt kein Selbstläufer. Es bedurfte einiger Anläufe, um den Segen des Schöpfers einzuholen. Anfragen anderer Studios und Regisseure lehnte Tardi bereits ab und so ließ der „Nestor Burma“-Zeichner auch Besson lange zappeln. Letztendlich wurde man sich aber einig und „Adèle und das Geheimnis des Pharaos“ (OT: „Les Aventures extraordinaires d’Adèle Blanc-Sec“) konnte in Produktion gehen.

Gott sei Dank konnte er das, denn der Film ist großartige Unterhaltung für die ganze Familie. Im Gegensatz zum Comic liegt der Film-Fokus mehr auf dem Abenteuer-Aspekt… mit reichlich Pulp-Charme. Das macht ein Opening à la „Indiana Jones“ schnell klar. Wo die Comic-Adele die verzwickt-verschachtelten Fälle eher im Burma-Stil nach besten Krimi-Mustern aufklärt, setzt der Film auf visuellen Bombast. Mit tollen Kamerafahrten und haufenweise visuellen Effekten ist „Adèle und das Geheimnis des Pharaos“ dauernd im Vorwärtsgang. Sympathisch durch und durch wird die Abenteuer-Atmosphäre immer wieder durch irrwitzige Slapstick-Einlagen aufgelockert. Beim Tennisspiel von Adele gegen ihre Schwester habe ich (trotz dramatischen Ausgangs) Tränen gelacht. Außerdem machen wir Bekanntschaft mit der wohl freundlichsten Mumie der Filmgeschichte. Die Handlung entspricht nicht 1:1 der Vorlage, wobei jedoch Adeles erstes Abenteuer, „Adele und das Ungeheuer“, klar die Richtung vorgibt. Mumien rückten hingegen erst im vierten Band, „Aufstand der Mumien“, in den Vordergrund. Dennoch ist der Film eine echte Feelgood-Perle unter den Comic-Verfilmungen, die sich vom Ton her zwar vom Comic unterscheidet, jedoch den Segen des „Adele“-Schöpfers bekommen hat.

„Adèle und das Geheimnis des Pharaos“ ist fürs Heimkino für einen schmalen Taler vom Studio LEONINE erhältlich. Das informative und äußerst üppige Bonusmaterial kann sich sehen lassen und gibt interessante Einblicke in die Dreharbeiten. Außerdem ist man live dabei, wenn Jacques Tardi zum ersten Mal auf seine lebendig gewordene Schöpfung trifft. Zusätzlich ist der Film im Programm des Streamingdienstes Prime Video abrufbar.

Fazit:

Der SCHREIBER & LESER Verlag hat mit „Adele Blanc-Sec - Sammelband I“ einen hochwertigen Auftakt zur Gesamtausgabe von Adeles ungewöhnlichen Abenteuern herausgebracht. An Tardis Zeichnungen musste ich mich zwar erst etwas gewöhnen, fand aber zunehmend Gefallen an den skurrilen Charakteren, die mit der phantastischen Handlung auf einer Welle schwimmen. Der rote Faden, der sich durch die einzelnen Geschichten zieht und vorhergegangene Ereignisse immer wieder aufgreift, tut dem Gesamtwerk gut und schafft einen schönen Fluss.

Adele Blanc-Sec - Sammelband I

Jacques Tardi, Jacques Tardi, Schreiber & Leser

Adele Blanc-Sec - Sammelband I

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