Hitch wäre happy!
Hinter dem Vorhang
Eigentlich gibt es nur zwei Fragen, als Martin Bec am Tatort seines neusten Falls eintrifft: Mord oder Selbstmord? Im Innenhof eines Wohnhauses liegt die Leiche einer jungen Frau. Ein Blick in den ersten Stock verrät schnell, dass das Opfer entweder durch das zerbrochene Fenster sprang oder gestoßen wurde. Letzteres sollte ausgeschlossen werden, denn welcher Selbstmörder wäre so dumm, vor dem Absprung nicht das Fenster zu öffnen? Außerdem braucht man keinen Abschluss von der Holmes-Universität, um zu merken, dass ein Suizidversuch aus der ersten Etage reichlich dämlich wäre. Bei der Leiche, deren Halsschlagader während des Sturzes von einer Glasscherbe durchtrennt wurde, handelt es sich um die Ehefrau eines Kollegen. Jean-Baptiste Clerc ist Beamter bei der Sitte und sichtlich bestürzt über das Ableben seiner Gattin. Sofort fällt auf, dass der wertvolle Schmuck von Madame Clerc entwendet wurde… und ein vermeintlicher Täter ist schnell ins Visier genommen: Die Hinweise führen zu einem Obdachlosen, der seine Zelte bereits vor längerer Zeit im Innenhof aufgeschlagen hatte und nicht geizig mit Komplimenten gegenüber den weiblichen Mietern war.
Apropos Mieter: Diese beobachten das Treiben im Innenhof gebannt von ihren Fenstern aus. Perfekt! Haufenweise Zeugen! Nein, das wäre zu einfach… Niemand möchte etwas von dem tragischen Abgang der Dame mitbekommen haben. Kurzerhand bittet Bec die versammelte Mannschaft zum nächtlichen Verhör aufs Revier. Und die Geschichten, die ihm dort aufgetischt werden, werden von Nicht-Zeuge zu Nicht-Zeuge abenteuerlicher. Martin Bec riecht schnell Lunte und ahnt, dass er tiefer graben muss, um diesen Fall zu lösen.
Trockener als Bonds Martini
Würde die Geschichte nicht im Paris der 1930er-Jahre spielen, wäre Martin Bec wohl ein Hard-Boiled-Paradebeispiel mit Polizeimarke. Wortkarg, mit allen Wassern gewaschen und wenn es nötig ist, immer den richtigen Spruch auf den Lippen. Seine ruppige und selbstbewusste Art vermittelt stets den Eindruck, dass er genau weiß, was er tut. So ist es eine große Freude, ihm beim Ermitteln über die Schulter zu schauen.
Es ist schon erstaunlich, wie oft Autor Herik Hanna in dieser Konzept-Reihe das Genre wechselt. Besser gesagt, wechselt er das Sub-Genre, denn wir bewegen uns bei den „7 Detektive“-Bänden ausschließlich auf Krimi-Terrain. Ja, wer hätte das bei DEM Titel gedacht? Der innere Inspektor Clouseau ist gerade mächtig stolz auf mich, für diesen genialen Gedankengang. Nun ja… Wir hatten bereits den idyllisch-englischen Kleinstadt-Krimi mit „Miss Crumble“, rasanten Hard-Boiled-Stoff mit dem arg ramponierten „Richard Monroe“ und atmosphärisches Mystery-Flair im schottischen Spukschloss mit dem Schweizer Ermittler „Ernest Patisson“. Nun gesellt sich mit „Martin Bec“ ein französischer Flic in diese hochkarätige Runde, der sowohl Eigenschaften von Sherlock Holmes als auch Hercule Poirot an den Tag legt. Und das in einem Poirot-ähnlichen „Orient-Express“-Fall, dessen Setting deutliche Anleihen an Alfred Hitchcocks Meisterwerk „Das Fenster zum Hof“ hervorruft. Ja, ich weiß… der Titel lässt schon darauf schließen. Mein innerer OSS 117 klopft mir gerade auf die Schulter. Was soll’s… Jedenfalls zeigt Herik Hannas Ideenreichtum bislang keine Abnutzungserscheinungen. Es hat zwar nicht jeder Band komplett gezündet, was in den ersten beiden Alben besonders der Auflösung des jeweiligen Falles geschuldet war, aber die Kurve geht momentan in die richtige Richtung und hält sich nach dem gelungenen „Ernest Patisson“-Gastspiel auch mit „Martin Bec“ auf konstantem Niveau. Alle Bände konnten jedoch durch ihre künstlerische Umsetzung begeistern. Das bleibt hier keine Ausnahme.
Glatter Durchschuss mit Schall- und Farb-Dämpfer
Für „Martin Bec - Fenster zum Hof“ griff Thomas Labourot zum Stift. Deutschen Lesern könnte Labourot durch die „Troll - Gesamtausgabe“ von FINIX ein Begriff sein. Die Jugend-Fantasy-Reihe „Eleonora Mandragora“ (POPCOM) und ein Part der Mobile-Game-Comic-Adaption „Contest of Champions - Sturm der Superhelden“ (PANINI) gehen ebenfalls auf sein Konto. Sein kantiger Stil in „Fenster zum Hof“ gefällt mir ausgesprochen gut, auch wenn er manchmal etwas übers Ziel hinausschießt und die Gesichter an einigen Stellen zu überzeichnet wirken. Was mir besonders positiv auffällt, ist, dass wir als Leser immer dicht am Geschehen sind. Bei Beratungen und Befragungen sind wir mittendrin und kommen uns nicht wie stumme Beobachter aus sicherer Entfernung vor. Hinzu kommen abwechslungsreiche Perspektiven, die sehr stylish geraten sind, und eine toll integrierte Umgebung. Dies trägt enorm zum Krimi-Feeling bei, da auf ausschweifende Action-Szenen verzichtet wurde und hier einzig und allein die Lösung des Mordfalls im Vordergrund steht.
Für die Farben ist einmal mehr Lou verantwortlich. Die farbliche Palette in „Fenster zum Hof“ beschränkt sich auf natürlich-erdige Töne, was komplett stimmig und dem Setting angemessen erscheint. Die warme Beleuchtung ist hervorragend gelungen und der Wechsel in den schwarz-weiß-Modus, wenn es um Rückblenden oder vermeintliche Tatabläufe geht, verstärkt die gewollten Genre-Merkmale ungemein.
Fazit:
Die SPLITTER-Reihe „7 Detektive“ leistet sich bislang keinen fatalen Ermittlungsfehler. „Ernest Patisson“ und „Martin Bec“ sind dabei meine Highlights, da ihre Fälle rund und schlüssig erzählt werden. Zeichnerisch sind alle Bände auf sehr hohem Level, sodass es dort wohl nur um Nuancen und den eigenen Geschmack geht. Bleibt abzuwarten, wie sich mit der Schande von Scotland Yard, „Frederick Abstraight“, der nächste Detektiv schlägt. Mein innerer Monk atmet schon gespannt in die Papiertüte…
Herik Hanna, Thomas Labourot, Splitter
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