Sweet Tooth
von Marcel Scharrenbroich (06.2021) / Titelbild: © Netflix
„Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“ Albert Einstein (1879 – 1955)
Welt im Wandel
Es fing an, wie eine gewöhnliche Grippe… doch es war deutlich mehr. Na? Klingelt da was? Ja, die Parallelen sind gespenstisch, doch die Entscheidung, eine Serie mit einem Status Quo, dem eine Pandemie voranging, mitten IN einer Pandemie zu veröffentlichen, scheint von Erfolg gekrönt. Nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, wie sehr uns allen Endlos-Diskussionen zum Für und Wider diverser Maßnahmen und dem alltäglichen Umgang damit zum Halse heraushängen dürften. Kam „Sweet Tooth“ vielleicht gerade deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt, sodass der Nerv des Publikums getroffen wurde? Mag sein… trotzdem ein unkalkulierbares Risiko, welches die erste Staffel dennoch an die Spitze der NETFLIX-Charts katapultiert hat. Und das – so viel sei schon mal verraten – vollkommen zu Recht. Doch worum geht es eigentlich genau?
Wie eingangs schon erwähnt, fing alles mit einer scheinbar harmlosen Infektion an. Dabei blieb es nicht. Die Krankheitsverläufe waren derart schwerwiegend, dass die Bevölkerung unseres eh schon gebeutelten Planeten drastisch dezimiert wurde. Es herrschten Chaos und Überforderung an allen Ecken und Enden. Doch mitten in diesem Geschehen sorgte ein weiteres Phänomen für großes Aufsehen. Zahlreiche Neugeborene wiesen anatomische und genetische Abweichungen auf. Sie waren Hybride. Mischwesen aus Mensch und Tier.
Einer von ihnen ist Gus (Christian Convery). Gus hat die markanten Merkmale eines Hirsches. Ohren, Geweih, aber auch dessen Eigenschaften. So verfügt er beispielsweise über einen ausgesprochen scharfen Geruchssinn. Und seine Augen leuchten im Dunkeln. Sollten Euch bei einer Nachtfahrt durch Waldgebiet also mal zwei grelle Punkte anblicken, richtet Gus bitte schöne Grüße aus! An seine Mutter hat der Junge keine Erinnerungen mehr, denn einzig und allein sein Vater (Will Forte) kümmerte sich die letzten neun Jahre um ihn. Abgeschieden vom Rest der Zivilisation, leben sie zurückgezogen in den Wäldern. Bauten sich dort ihre ganz eigene kleine Heimat auf. Eine wohl gewählte Entscheidung, denn nicht gerade wenige Menschen machen die Hybrid-Kinder für den Ausbruch der Seuche verantwortlich. Eine These, die auf keinerlei Grundlage fußt… wobei wir wieder bei Parallelen zum Hier und Jetzt wären. Und die sogenannten Last Men, angeführt vom skrupellosen General Abbot (Neil Sandilands), machen Jagd auf die Mischwesen. Um in der Einsamkeit unentdeckt zu bleiben, muss Gus sich an Regeln halten. Nicht mit Fremden sprechen und keinesfalls die Waldgrenze überqueren. Um die natürliche Neugier des Jungen zu zügeln, beweist sein Dad reichlich Erfindungsreichtum. Besser gesagt, er lügt. Erzählte Gus von großen Bränden außerhalb des Waldes. Sicherlich zum Schutz des Burschen, doch Gus hat Fragen. Fragen, auf die noch mehr Fragen folgen sollen… und Antworten. Antworten, die sein bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellen werden.
Als sein Dad nach einem Trip in den Wald schwer verwundet zum Haus zurückkehrt, ist es an Gus, ihn zu pflegen. Dieser Aufgabe ist er gewachsen, doch die Wunden sind zu schwer. Tödlich. Gus hat in der Vergangenheit viel von seinem Vater gelernt und es gelingt ihm, sich alleine durchzuschlagen. Natürlich im sicheren Schutz des Waldes, den er nie verlässt. Dies ändert sich, als der umherziehende Jepperd (Nonso Anozie) in sein Leben tritt. Der grummelige Ex-Footballstar Tommy Jepperd ist ein wortkarger Einzelgänger, der nichts weniger in seinem Leben braucht, als ein Kind, das ihm wie ein Klotz am Bein hängt. Doch Gus setzt sich durch, springt über seinen Schatten, ignoriert damit die Warnungen seines Dads und heftet sich kurzerhand an die Fersen von Jepperd, den er auf Grund seines hünenhaften Erscheinungsbildes einfach „großer Mann“ nennt. Gus hat nämlich ein Ziel: Colorado. Nicht den Hauch einer Ahnung, wie weit Colorado entfernt ist, möchte Gus dort die Person finden, die er bislang nur von einem Foto kennt, welches er wie seinen Augapfel hütet… seine Mutter Birdie (Amy Seimetz).
Dass ihre Odyssee durch die postapokalyptische Welt kein Zuckerschlecken wird, sollte sich von selbst verstehen. Auf dem Weg lauern zahlreiche Gefahren, doch es knüpfen sich auch Freundschaften. Als würde es nicht reichen, dem ungleichen Duo bei seinen Abenteuern zu folgen, bekommen wir noch zwei parallele Handlungsstränge, die immer wieder Platz einnehmen. Zum einen sehen wir Dr. Aditya Singh (Adeel Akhtar). Der Wissenschaftler forsch fieberhaft nach einem Heilmittel, da seine Frau Rani (Aliza Vellani) sich mit der Seuche infiziert hat. Und Infizierte sind bei den misstrauischen Nachbarn der Vorort-Siedlung gar nicht gern gesehen. Auf der anderen Seite hätten wir die alleinstehende Aimee (Dania Ramírez), der eines Tages ein ganz besonderes Päckchen vor die Tür gestellt wird.
Ontario’s Finest
Er nahm uns mit auf einen Provinztrip durch seine kanadische Heimat, führte uns auf den Grund des Ozeans, mit einem Roboter-Jungen in die Tiefen des Weltalls, rang dem Superhelden-Genre neue Facetten ab, ließ uns in die schwarze Scheune blicken und mit dem Clownprinzen des Verbrechens um die Wette grinsen. Jeff Lemire ist wahrlich kein unbeschriebenes Blatt und es ist längst kein Geheimnis mehr, dass seine Werke uns regelmäßig begeistern. Nicht nur uns, denn scheinbar alles, was der Autor - und gelegentlich auch Zeichner - anfasst, verwandelt sich in pures Comic-Gold. Dabei sind seine ganz eigenen Kreationen das Sahnehäubchen, denn auch wenn Lemire bereits etablierte Superhelden-Größen von MARVEL oder DC in Angriff nimmt, kommen meist Geschichten dabei raus, die im Gedächtnis bleiben. Man denke nur an „Old Man Logan“, „Moon Knight“, „Constantine“, „Green Arrow“ oder „Justice League Dark“. Umstritten sind jedoch Lemires Künste am Stift. Sein Zeichenstil ist zugegebenermaßen sehr eigenwillig und bisweilen auch gewöhnungsbedürftig. Vermutlich ein Grund, weshalb seine im Sommer 2018 bereits abgeschlossene IMAGE-Serie „Royal City“ bislang bei keinem deutschen Verlag untergekommen ist. Was enorm schade ist, denn es ist ja bekannt, dass man ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen sollte. Wenn Bild und Text harmonieren, können erste oberflächliche Zweifel oft ausradiert werden. Bestes Beispiel: Jeff Lemires „Der Unterwasser-Schweißer“ (HINSTORFF). Könnte ich beim Anblick der Illustrationen vor Begeisterung Radschlagen? Wohl eher nicht. Kann die Story überzeugen? Fuck, JA! Und zwar so sehr, dass Lemire meinetwegen Strichmännchen hätte kritzeln können! Es ist einfach das Gesamtpaket, was bei diesem Titel ins Gewicht fällt. Ich wage sogar zu behaupten, dass detailliert-realistische Zeichnungen und vielleicht sogar der Griff in den Farbtopf dieses Meisterwerk höchstwahrscheinlich verwässert hätten. Eine Erleuchtung, die erst eintritt, wenn man dem Buch trotz anfänglicher Bedenken eine Chance gibt. Egal, ob „Gideon Falls“ (SPLITTER), „Joker: Killer Smile“ (PANINI), der geniale Superhelden-Abgesang „Black Hammer“ (SPLITTER) in all seinen Story-Formen und Spin-off-Farben oder der erst Anfang 2021 erschienene Einzelband „Sentient - Kinder der K.I.“ (PANINI)… wo der Name Jeff Lemire auf dem Cover prangt, greife ich blind zu. Selbst außerhalb von Genre-Komfortzonen.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und für viele Comic-Leserinnen und -Leser ist bis heute „Sweet Tooth“ die ultimative Kirsche auf der Lemire’schen Schaffens-Torte. Selbst bei meinem Wiedereinstig in die Comic-Welt (nun auch schon wieder ein paar Jährchen her…), wurde mir sofort von allen hilfreichen Seiten die bewegende Endzeit-Story um Gus & Co. ans Herz gelegt. Ein nachträgliches „Danke!“ dafür. Dabei wurde die Serie bei ihrer Erstveröffentlichung nicht so wohlwollend aufgenommen und musste sich ihren Kult-Status erst erarbeiten. Jeff Lemires gehaltvolle Erzählungen nach „Sweet Tooth“ dürften dabei ein nicht ganz unbedeutender Katalysator gewesen sein, sorgten seine bereits angesprochenen Zeichnungen doch nicht für Warteschlangen vor den Comic-Shops. Ursprünglich zwischen 2009 und 2013 in 40 Heft-Ausgaben beim DC-Imprint VERTIGO erschienen, welches sich Zeit seines Bestehens - mit Reihen wie „100 Bullets“, „Fables“, „Preacher“, „V wie Vendetta“ und „Transmetropolitan“ - vornehmlich an eine erwachsene Leserschaft richtete, übernahm der PANINI Verlag die Veröffentlichung für den deutschsprachigen Markt. Von 2012 bis 2014 erschien die gesamte „Sweet Tooth“-Saga in 6 Paperbacks, die zum Teil bestenfalls noch antiquarisch zu bekommen sind. Da ist es wohl kaum Zufall, dass gerade zum Serienstart auf NETFLIX eine Neuauflage um die Ecke kommt.
Wer bereits die Deluxe-Hardcover zu „Locke & Key“, Neil Gaimans „Sandman“ oder „The Boys“ kennt, wird mit dem XL-Format vertraut sein. In diese hochwertig-illustre Riege reiht sich nun auch „Sweet Tooth“ ein. Noch im ersten Halbjahr 2021 machten die Stuttgarter von PANINI den Sack zu. Alle drei Bände der „Sweet Tooth (Deluxe Edition)“ umfassen mehr als 300 Seiten und beinhalten selbstverständlich die komplette Geschichte der 6 Paperbacks… beziehungsweise der 40 US-Ausgaben.
Damit aber noch nicht genug. Im Rahmen von DCs noch recht frischem, jedoch äußerst beliebten BLACK LABEL, wo sich vornehmlich düstere und erwachsenere Stoffe außerhalb der regulären Comic-Kontinuität tummeln („Batman: Damned“, „Harleen“, „Rorschach“), kam im Juni 2021 die sechsteilige Mini-Serie „Sweet Tooth: The Return“ zum Ende. Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Fortsetzung der Saga, sondern um eine Neudefinition. Jeff Lemire, der erneut zum Zeichenstift griff und wieder vom spanisch-amerikanischen Koloristen José Villarrubia unterstützt wurde, entführt uns somit erneut in die postapokalyptische Welt, die heute wahrlich mehrere Schritte näher an der Realität ist, als man im Jahr 2009 noch erahnen konnte. „Sweet Tooth: Die Rückkehr“ ist ab Juli 2021 auf dem deutschen Markt erhältlich. Der Einzelband steht leider lediglich als Softcover-Ausgabe zur Verfügung, was neben den Deluxe-Hardcover-Bänden passender hätte gewählt werden können.
NETFLIX‘ Finest
Ob man sich bei HBO mittlerweile in den Allerwertesten beißt? Dort wurde ja vor einigen Monaten verkündet, dass man an einer Serie zum erfolgreichen PlayStation-Franchise „The Last of Us“ arbeitet, geschaffen vom „Uncharted“- und „Crash Bandicoot“-Studio NAUGHTY DOG. Na, ob dieser Move nicht vielleicht ein paar Jahre zu spät kommt? So gab es doch bereits nach dem ersten Game von 2013 Gerüchte, dass eine Umsetzung als Film oder Serie angedacht wäre. So war es auch, doch das Projekt wurde immer mehr zum Mythos und war ebenso wie ein „Uncharted“-Kinofilm in Hollywoods Entwicklungs-Hölle verschollen. Abenteurer Nathan Drake ist mittlerweile einige Schritte weiter und Spider-Man Tom Holland schlüpft in die Rolle des Schatzjägers, was offizielle Set-Bilder bereits belegen, während für „The Last of Us“ immerhin schon die Rollen von Joel und Ellie mit Pedro Pascal („The Mandalorian“, „Wonder Woman 1984“, „Narcos“) und Bella Ramsey („Game of Thrones“, „His Dark Materials“) besetzt wurden. Bleibt nur die Frage, ob der richtige Moment für das ungleiche Gespann in der Postapokalypse nicht bereits verpasst wurde? Thematisch sind wir von „Sweet Tooth“ nämlich nicht allzu sehr entfernt. Ein zu beschützendes Kind, einen Beschützer, eine Seuche, Suche nach Heilung, verwilderte Städte… alles bereits vorhanden, wenngleich „The Last of Us“ wohl deutlich düsterer und für ein volljähriges Publikum konzipiert sein sollte. SOLLTE… denn heutzutage kann man nie wissen, mit welchen Mitteln Networks mehr Zuschauer erreichen wollen. Die Game-Vorlage sollte im Idealfall die Richtung vorgeben. Und immerhin ist mit Neil Druckman der Creative Director der Spiele als Autor und Produzent involviert. Um „Sweet Tooth“ das Genre-Wasser zu reichen, sollte man sich jedoch lieber anstrengen, denn NETFLIX hat ordentlich vorgelegt.
Einer der größten Pluspunkte ist Hauptdarsteller Christian Convery. Der erst elfjährige kanadische Senkrechtstarter kann bereits einige Rollen vorweisen und war beispielsweise in den Serien „Lucifer“, „Supernatural“, „Legion“ oder „Van Helsing“ zu sehen. Im Film „Chaos auf der Feuerwache“ spielte er an der Seite von „Suicide Squad“-Neuzugang John Cena und in Disneys „Descendants 3 - Die Nachkommen“ gehörte er ebenfalls zum Cast. Mit der Rolle des Gus steht und fällt die Serie… und das Ding steht, wie ‘ne Eins! Der Jungschauspieler macht seine Sache derart gut, dass man ihm jede Emotion abkauft. Von dem Burschen wird man mit Sicherheit noch viel hören. Sein Zusammenspiel mit Nonso Anozie, der 1979 als Engländer mit nigerianischen Wurzeln das Licht der Welt erblickte, könnte besser nicht sein. Die beiden ergänzen sich wunderbar und es bleibt zu hoffen, dass wir weiterhin ihrem Weg folgen dürfen. Bei NETFLIX ja leider keine Selbstverständlichkeit, da niemand so schnell dabei ist, unvollendeten Projekten den Stecker zu ziehen, wie der Streaming-Riese. Im Falle von „Sweet Tooth“ zwar nur schwer vorstellbar, aber ich mache erst Luftsprünge, wenn von offizieller Seite grünes Licht für eine zweite Staffel gegeben wurde. Nonso Anozie ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt in der Schauspiel-Landschaft. Im Biopic „Cass - Legend of a Hooligan“ gab er als namensgebender Inter City Firm-Anführer Cass Pennant nach einigen Nebenrollen sein Hauptdarsteller-Debüt. Es folgten Rollen im „Conan“-Flop mit Jason Momoa, „The Grey“, mehreren Folgen „Game of Thrones“, „Ender’s Game“, „Cinderella“, „Artemis Fowl“ und der CBS-Serie „Zoo“.
Besonders zu erwähnen ist der hohe Produktionsstandard von „Sweet Tooth“. Sieht man über so manche Komparsen-Maske mal großzügig hinweg, die hier und da mehr nach Fasching/Karneval/Halloween in der Krabbelgruppe ausschaut, wurden hier fast ausschließlich große Brötchen gebacken (bis auf die besonderen Erwähnungen im nächsten Absatz). Die Kameraarbeit von Aaron Morton, Dave Garbett und John Cavill ist dabei phänomenal und in 4K-Auflösung ein farbenreiches Fest für die Augen. Die Fahrten über die Landschaft sind wunderschön anzusehen. Die Sets dabei aufwendig in Szene gesetzt und vor Details strotzend. Der märchenhafte Charakter der Serie wird noch durch einen Erzähler aus dem Off verstärkt. Quasi ein klassischer Märchen-Onkel. Dieser wird im Original-Ton von James Brolin („Endstation Hölle“, „Unternehmen Capricorn“, „Amityville Horror“ und die TV-Serien „Hotel“, „Pensacola“, „X-Factor“) gesprochen, dem Vater von Thanos- und Cable-Darsteller Josh Brolin aus den letzten „Avengers“-Filmen und „Deadpool 2“. Doch dessen deutscher Stammsprecher Jürgen Kluckert macht seinen Job mindestens ebenbürtig. Kluckert kennt man vor allem als Synchronsprecher von Chuck Norris, Danny Glover, Donald Sutherland, „Ghostbuster“ Ernie Hudson oder Morgan Freeman. Aber auch als Stimme von Mr. Krabs aus „SpongeBob Schwammkopf“, zahlreichen Videospielen, Hörbücher und-spielen sowie seit 1994 als Kult-Elefant Benjamin Blümchen. Und Jürgen Kluckert gelingt es in „Sweet Tooth“ bereits mit dem ersten Satz, dass man ihm unweigerlich stundenlang zuhören möchte.
Bei allem Lob, sollen aber auch die Schwachpunkte Erwähnung finden. Sie halten sich zwar sehr in Grenzen, aber dennoch gibt es sie. Da wären zum einen die arg schablonenhaften Antagonisten. In „Sweet Tooth“ riechen wir die Arschlöcher zehn Meilen gegen den Wind… und das liegt nicht nur an ihrer markanten Kleidung. Die Hybrid-jagenden Last Men erfüllen jegliche Rollen-Klischees, die von ihrem comichaften Anführer nur noch auf die Spitze getrieben werden. Das zweite Manko ist ausgerechnet der putzigste Charakter der ganzen Serie. Auftritt Bobby: Ja, der Murmeltier-Hybrid ist niedlich, herzlich und so süß, dass ein paar Minuten Screentime Zuckerschocks auslösen könnten… aber er wirkt wie ein Fremdkörper. Im Gegensatz zu den anderen Mischwesen, die allesamt noch überwiegend als menschlich zu erkennen sind, handelt es sich bei Bobby um ein aufrechtgehendes Nagetier, welches allerdings nicht durch den Rechner geprügelt wurde, sondern von mehreren Puppenspielern gesteuert wird. Eine Animatronic-Figur, ähnlich den Figuren in Jim Hensons „Reise ins Labyrinth“ oder „Der dunkle Kristall“. Und diese Tatsache merkt man in jeder Sekunde, in der Bobby die Herzen der Zuschauer zu stehlen versucht. Das schafft er, keine Frage, doch in jeder Szene rechnete ich damit, dass Bill Murray mit dem Gartenschlauch ins Bild gerannt kommt (Film-Freunde der 80er und Golf-Spieler werden sich erinnern). Für diese Art Spezialeffekte wirkt alles andere an der Serie einfach zu hochwertig. Klingt wie meckern auf ganz hohem Niveau. Nun ja, ist es auch… aber diesen persönlichen Eindruck wollte ich nicht verschweigen. So, und jetzt will ich auch einen Bobby… VERDAMMT!
Der „Iron Man“ hat die Lager gewechselt!
Reißerisch, nicht wahr? Jetzt ahne ich, wie stolz sich die Überschriften-Schreiberlinge der Käseblätter fühlen müssen, die sich beim Lotto-Fritzen in der Oma-Auslage stapeln. Nein, „Iron Man“ bleibt MARVEL natürlich treu, aber dessen Darsteller Robert Downey Jr. flirtet ein wenig fremd. Grund zur Empörung? Ha, keineswegs!
Zusammen mit seiner Frau Susan und der gemeinsamen Produktionsfirma Team Downey ist er treibende Kraft hinter der Comic-Adaption. Susan Downey (geb. Levin) ist dabei kein Neuling, was das Produzieren von Filmen und Serien angeht, und kann bereits auf eine längere Karriere zurückblicken. In den 90ern arbeitete sie bereits an den beiden „Mortal Kombat“-Filmen (welche trotz des Trash-Faktors tausendmal mehr Charme als die aktuelle Gurke haben!) sowie dem kurzlebigen TV-Ableger mit, bevor sie zu Silver Pictures wechselte, der Schmiede von Blockbuster-Produzent Joel Silver („Straßen in Flammen“, „Lethal Weapon“, „Predator“, „Stirb langsam“, „Matrix“…). Dort bekleidete sie auch den Co-Präsidentinnen-Posten der Dark Castle Entertainment-Sparte. Versteift auf klassisch angehauchten Horror, entstanden dort beispielsweise „13 Geister“, „Ghost Ship“, „Gothika“ und „House of Wax“. 2005 war sie ausführende Produzentin der actionreichen Krimi-Komödie „Kiss Kiss, Bang Bang“, in der Robert Downey Jr. in Höchstform glänzte. Im selben Jahr heiratete das Paar. Da Susan Downey ihrem Gatten den Regisseur Guy Ritchie („Bube, Dame, König, grAS“, „Snatch“) vorstellte, mit dem sie bereits bei dessen Film „Rock N Rolla“ zusammenarbeitete, sollte nach „Gothika“ und „Kiss Kiss, Bang Bang“ bald das dritte gemeinsame Projekt der Downeys folgen: „Sherlock Holmes“, unter der Regie von Ritchie. Ein voller Erfolg, dem 2011 die nicht minder gelungene Fortsetzung mit dem Untertitel „Spiel im Schatten“ folgte.
Bereits im Jahr 2010 gründeten die Eheleute ihre eigene Produktionsfirma. 2014 ging daraus das Drama „Der Richter“ hervor, unter anderem mit Robert Downey Jr., Robert Duvall, Vera Farmiga, Vincent D’Onofrio und Billy Bob Thornton hochkarätig besetzt. „Die fantastische Reise des Dr. Dolittle“, ebenfalls mit Robert Downey Jr. in der Hauptrolle, wurde trotz eines ansehnlichen Einspielergebnisses eher gemischt aufgenommen und gleich mehrfach für den Anti-Oscar „Goldene Himbeere“ nominiert. So erhielt das tierische Abenteuer den Preis auch in der Kategorie schlechteste Neuverfilmung/schlechteste Fortsetzung. Nach der Neuauflage der TV-Serie „Perry Mason“ für das US-Network HBO, ist „Sweet Tooth“ der zweite Serien-Ausflug für Team Downey.
MARVELs ehemaliger Vorzeigeheld, der mit „Iron Man“ quasi den Startschuss zum mega-erfolgreichen MCU und dessen Kino-Siegeszug gab, macht es also vor, dass es kein Hochverrat oder ähnlicher Quatsch ist, wenn man auch mal bei DC & Co. reinschnuppert. Damit spiele ich natürlich auf die überflüssigen Kleinkriege der Fan-Lager an, was sich auch immer wieder bei Diskussionen zwischen PlayStation-/Xbox-/PC-Usern hochschaukelt. Die ewige MARVEL vs. DC-Fehde, die mit jeder Film- oder Serien-Ankündigung neu entfacht wird ist ebenso müßig wie unnötig und lassen mich persönlich immer wieder daran zweifeln, um was es eigentlich geht. Wollen wir nicht alle einfach nur gut unterhalten werden? Das Gebashe auf öffentlichen Plattformen lässt mich ehrlich gesagt oft daran zweifeln. Vielleicht ist es auch einfach nur in Mode, regelmäßig in den Mecker-Modus zu wechseln, sobald brühwarme Neuankündigungen die Runde machen. Nicht selten werden diese schnell ausartenden Diskussionen noch durch reißerische Überschriften befeuert. Warum lassen wir nicht den Marken-Mumpitz und erfreuen uns an den tollen Geschichten, Spielen und Filmen, die die auf dem Papier konkurrierenden Firmen produzieren? Versteift auf ein Lager, könnten uns sonst nämlich die tollsten Stoffe durch die Lappen gehen. Vor allem, da der Markt derart vielfältig und abwechslungsreich ist. Solltet Ihr US-Leserin oder US-Leser sein, schaut in die tollen Programme von BOOM! Studios, Image, Bad Idea Comics oder IDW rein. Pickt Euch die Rosinen heraus und lasst die für Euch uninteressanten Titel einfach aus. Kein Publisher hat das Anrecht auf den Filmmarkt-, Gaming- oder Comic-Thron gepachtet. Und Scheiße findet sich selbst in den goldenen Sanitärbereichen der größten Königshäuser. Da bilden die beiden Comic-Riesen, sowohl in ihrer gedruckten Palette als auch den Kino- und TV-Produktionen, keine Ausnahme. Team Downey hatte jedenfalls den richtigen Riecher und gemeinsam mit NETFLIX, Warner Bros. Television und DC Entertainment dafür gesorgt, dass einem in Fankreisen durchaus populären Comic nun eine noch größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Und das vollkommen verdient.
Fazit:
Auf die Frage, ob man einen Comic wie „Sweet Tooth“ adäquat in ein Serien-Format umsetzen kann, folgt schnell ein deutliches „JA!“ Bereits nach der ersten Folge war mir klar, dass ich unbedingt am Ball bleiben und mit Gus und Jepperd die unwirtliche Welt erkunden wollte. Das moderne Märchen ist brillant gefilmt, perfekt besetzt und mit viel Herz inszeniert. Sensible Zuschauerinnen und Zuschauer sollten schon mal die Taschentücher parat legen, denn die Macher verteilen Freikarten für die Emotions-Achterbahn… vorwärts UND rückwärts!
Wertung: 9
Szenenbilder & Titelcover: © Netflix
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