Deadpool & Wolverine

von Marcel Scharrenbroich (08.2024)

MARVELs letzter Strohhalm zerpflückt das Multiversum

Haaaaaaaaaaaaallelujah!!!

Angekündigt (von sich selbst) als MARVEL-Jesus, soll ausgerechnet der abgedrehteste aller Super-/Antihelden das schwer angeschlagene Cinematic Universe vor dem Kollaps der Belanglosigkeit bewahren, nachdem man sich in jüngster Vergangenheit gleich mehrmals krachend auf die Schnauze gelegt hatte. Wir erinnern uns an eine singende Carol Danvers in „The Marvels“? Die inklusive Multikulti-Truppe „Eternals“? Den zum Kotzen anregenden CGI-Matsch in „Quantumania“? Oder den unsagbar albernen „Love & Thunder“-Bullshit, in dem Russell Crowe tänzelnd das letzte Fünkchen Hollywood-Staub vom Röckchen schüttelte? Nicht? Gut… dann hat der Selbstschutzmechanismus Eures Gehirns ganze Arbeit geleistet. Nach dem brachialen „Avengers: Endgame“ (und dem damit verbundenen Auslaufen einiger Verträge) war die Luft irgendwie raus. Den langsamen MCU-Untergang konnten höchstens die „Guardians of the Galaxy“ in ihrem dritten (und vermutlich letzten) Space-Abenteuer kurzzeitig entschleunigen, doch mit der Einführung des Multiversums und den damit angepriesenen „schier unendlichen Möglichkeiten“ wurde es fortlaufend konfuser, unbeständiger und – das Schlimmste von allem – schlichtweg egal. Ein Charakter stirbt? Arsch geleckt, er existiert ja noch in dutzenden anderen Universen. Ja, irgendwo lebt Tony Stark ein vermutlich glückliches Leben mit seiner Pepper Potts, Spidey fängt nicht einsam und allein wieder bei Null an und Sam Raimi konnte im „Multiverse of Madness“ des eigentlichen Fanlieblings „Doctor Strange“ anstatt des handzahmen Horrors, der uns entgegen einiger Vorab-Aussagen geliefert wurde, mal wirklich die Sau rauslassen (…ich mag ihn überraschenderweise trotzdem).

Und dann war ja da noch das weitläufige „X-Men“-Universum, welches das Studio 20th Century Fox im Jahr 2000 aufleben ließ. Insgesamt sieben Filme gab es zur illustren Mutanten-Gruppe, der 2020 noch die „New Mutants“ entwuchsen. Zu Unrecht vom Publikum abgestraft, denn die Psycho/Horror-Nummer war anständig umgesetzt und immerhin ziemlich gut besetzt. Fox ist in der ursprünglichen Form mittlerweile Geschichte und wurde vom Disney-Konzern, dem auch das Marvel Cinematic Universe untersteht, assimiliert. Gut, sie wurden aufgekauft, aber Locutus mag das Wort *zwinker, zwinker*. Die X-Men haben aber noch mehr hervorgebracht. Vor allem ihr Aushängeschild Logan aka Wolverine, stets verkörpert vom Australier Hugh Jackman. Der hatte mit „X-Men Origins: Wolverine“, „Wolverine: Der Weg des Kriegers“ und dem grandiosen „Logan“ gleich drei Solo-Filme inne… und mit Letzterem auch einen perfekten Abschluss seines langen Daseins.

2016 drängelte sich dann eine Figur in die Mutanten-Schar, die bereits in „X-Men Origins“ zu sehen war. Allerdings hatte man zu diesem Zeitpunkt noch keinen Plan, wie man mit ihr umzugehen hat. Die Rede ist natürlich von Deadpool, der schon damals (ungewöhnlich stumm) von Ryan Reynolds verkörpert wurde. Auch wenn (oder gerade, weil) der Charakter 2009 nicht annähernd adäquat getroffen wurde, setzte der Kanadier sich jahrelang dafür ein, den Söldner mit der großen Klappe gebührend auf die Leinwand zu bringen. Das gelang. Und zwar so gut, dass seitens Fox alle Bauchschmerzen bezüglich eines R-Ratings (sprich hohen Altersfreigabe auf Grund von Gewalt und gepfefferter Sprache) mit Blick aufs Einspielergebnis sogleich aus den Eingeweiden getreten wurden. Wohl auch ein Grund, warum „Logan“ nur ein Jahr später so roh und kompromisslos inszeniert werden durfte. 2018 durfte Deadpool noch einmal ran, bevor die Disney-Übernahme dann erstmal weiteres Blutvergießen stoppte.

Gerüchte darüber, die Figur in die etablierte MARVEL-Welt des Cinematic Universe zu werfen, gab es schon länger. Und mit einer riesigen Fanbase im schrumpeligen Nacken, sowie den „unendlichen Möglichkeiten des Multiversums“, schien Deadpool der geeignetste Kandidat, um das sinkende Schiff vorm endgültigen Kentern zu bewahren. Mit der Sympathie des Publikums auf seiner Seite (Deadpool ist sich seines Film-Daseins bewusst und durchbricht immer wieder die „vierte Wand“, indem er mit den Zuschauern spricht), könnte man durch die Figur mal ganz ungezwungen die Hosen runterlassen und auf eigene Kosten eingestehen, dass man ideentechnisch in den letzten Jahren mehrfach scheppernd vor die Wand gerannt ist. Durch Deadpool gesprochen, nimmt man nämlich kein Blatt vor den Mund. Mehr als Selbstironie und geheuchelte Fan-Nähe? Naja, den Hauptgrund kennen wir sicherlich alle ($$$), aber zu gutem Entertainment sagen wir halt auch schwer Nein.

Der wohl größte und zugkräftigste Clou ist aber, dass Ryan Reynolds, der nicht nur erneut Deadpool spielt, sondern auch mitproduziert und am Drehbuch mitgeschrieben hat, seinen alten Kumpel Hugh Jackman zu einem ungeahnten Comeback inspirieren konnte. Wolverine ist zurück und great in shape… und wetzt die Adamantium-Krallen zum ersten Mal im Comic-akkuraten Kostüm! Da kann doch nicht mehr viel schiefgehen, oder? ODER???

Zwei Himmelhunde auf dem Weg zu… Erde-10005?

Nachdem er ein bisschen Schindluder mit der Zeitreise-Maschine von Cable getrieben hatte (siehe „Deadpool 2“), hatte Wade Wilson (Ryan Reynolds) 2018 Großes vor. Auf der Haupterde-616, der „wahren Zeitlinie“, wollte er ein Mitglied der ruhmreichen Avengers werden. Es stand ein Vorstellungsgespräch bei Happy Hogan (Jon Favreau) an. Naaah, lief nicht so gut, weshalb Wades Leben ein bisschen aus der Bahn geriet. Seine große Liebe Vanessa (Morena Baccarin) konnte er nicht halten und das rot/schwarze Kostüm hängt nun auch am Nagel… beziehungsweise im Spind des Gebrauchtwagenhandels, in dem Wade Seite an Seite mit Peter (Rob Delaney) arbeitet. An seinem Geburtstag eröffnet sich ihm aber eine Möglichkeit, dem schnöden Dasein einen Schubser in eine bessere Richtung zu geben. Gerade noch auf der Überraschungsfeier, die seine Freunde für ihn veranstaltet haben, findet sich Wade nach einer Stippvisite der Agenten der TVA (Time Variance Authority) Hals über Kopf in deren Zentrale wieder. Dort erfährt er von Mr. Paradox (Matthew Macfadyen), dass die Organisation über die unterschiedlichen Zeitlinien des Multiversums wacht und gegebenenfalls eingreift, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Nun scheint die Zeit gekommen, Deadpool zu reaktivieren und auf der Erde-616 in die Reihen der Avengers aufzunehmen. Wade könnte glücklicher nicht sein, doch die Sache hat einen Haken: Nachdem aus seiner Zeitlinie, der Erde-10005, ein überlebenswichtiges „Ankerwesen“ entfernt wurde, ist seine Welt unweigerlich dem Untergang geweiht.

Beim „Ankerwesen“ ist Rede ist von Logan, dem Wolverine, der vor einigen Jahren heldenhaft sein Leben gab. Ohne Logan soll die Erde-10005 endgültig aus dem Multiversum gekickt werden, was Paradox höchstpersönlich (und lieber gestern als morgen) erledigen will. Deadpool schnappt sich kurzerhand einen TVA-Zeitreise-Apparat und glaubt, einen narrensicheren Plan zu haben: Einfach in eine andere Welt reisen, einen geeigneten Wolverine kidnappen und diesen dann in seine Zeitlinie zu befördern. Klingt einfach… und fast gar nicht selbstsüchtig. Er schnappt sich aber ausgerechnet die wohl schlimmste Logan-Variante (Hugh Jackman), die ihre Welt komplett im Stich ließ und auf ganzer Linie versagte. So verfrachtet Paradox gleich beide in eine postapokalyptische Welt, in der sich der ganze Ausschuss tummelt, der sonst nirgendwo mehr Platz im Multiversum hat, genannt The Void…, die Leere.

Begeistert sind beide nicht von dieser neuen Situation, doch notgedrungen muss man sich zusammenraufen. Deadpool muss Wolverine davon überzeugen, dass seine Welt es wert ist, gerettet zu werden. Notfalls auf die harte, blutige Tour. Um aus der Leere zurückzukehren, müssen sie aber noch an deren Herrscherin vorbei, der leicht psychopathischen Cassandra Nova (Emma Corrin), der Zwillingsschwester von Professor Charles X. Xavier. Da diese eine wilde Mutanten-Truppe um sich geschart hat, müssen Deadpool und Wolverine schnell einsehen, dass sie auf fremde Hilfe angewiesen sind. Fremd, vielleicht vergessen…, aber nicht ganz unbekannt.

Fun-Faktor vs. Story

Es bleibt die Frage, ob „Deadpool & Wolverine“ nun der ratternde Motor ist, den das Marvel Cinematic Universe so dringend benötigt? Für mich ein klares NEIEN. Am Ende mag ein beachtliches Einspielergebnis bleiben und ich wage zu prognostizieren, dass der Streifen auch im Heimkino ein voller Erfolg wird, aber inhaltlich bringt er den angeknacksten Wagen nicht wieder zum Brummen. Die Story ist dünn, sehr dünn. Und das ist noch nett und wohlwollend ausgedrückt. Der Fokus liegt ganz klar auf dem Fanservice. Hier macht der Film über 128 Minuten keine Gefangenen und liefert im Sekundentakt. Das Tempo ist verdammt hoch, was hauptsächlich am flotten Mundwerk von Deadpool liegt. Das ist bisweilen anstrengend, sorgt jedoch dafür, dass man „Deadpool & Wolverine“ gerne mehrmals anschauen möchte, um verpasste One-Liner und Anspielungen nachzuholen. Wer den Humor der ersten beiden Solo-Filme mochte, wird auch hier nicht enttäuscht. Gags weit unter der Gürtellinie, unnötig viel Gefluche und diverse Zweideutigkeiten? Bekommt Ihr alles zuhauf. Spritzendes CGI-Blut in Hülle und Fülle gibt es obendrauf. Allein die kreative Eröffnungssequenz gibt die Marschrichtung für die folgenden zwei Stunden vor, womit Disney wohl gleich beweisen wollte, dass Deadpool auch unter ihrer Schirmherrschaft nicht etwa zahmer geworden ist.

Viel geredet und nicht minder spekuliert wurde im Vorfeld über diverse Cameos und längere Gastauftritte. Von Taylor Swift bis Daniel Radcliffe war so ziemlich alles dabei, was Rang und Namen hat. Manches sickerte vorab durch, anderes wurde durch offizielle Kanäle und Trailer bereits vermittelt. Bewusst wurden sogar seitens der Produktion falsche Gerüchte gestreut. Spoiler vermeide ich hier, doch wirklich glücklich bin ich mit dem Endergebnis nicht. Hier wurden meiner Meinung nach ziemlich wahllos Darstellerinnen und Darsteller in den großen Topf geworfen, um möglichst viele bekannte Namen im Cast zu haben. Eine Art Schaulaufen von MARVEL-Charakteren, was mal wieder den sekundären (US-)Comic-Markt anheizt, die Zukunft des MCU aber wenig bis gar nicht beeinflusst. Reiner Fanservice.

Ein weiteres Manko ist, dass der Film sich eigentlich ausschließlich an MARVEL-Allesgucker richtet und Gelegenheitsschauern kaum eine Chance lässt. Man sollte nicht nur fit in Filmen und Serien des Marvel Cinematic Universe sein, von denen es ja nicht gerade wenig gibt. Nein, neben dem „X-Men“-Franchise von Fox sollte man außerdem noch so ziemlich alles kennen, was sonst noch verfilmt wurde (da gab es noch so Einiges, oh ja!). Nicht alles ist essentiell für die Handlung, aber für Inside-Jokes schon. Etwas ärgerlich ist sogar, dass beste Film- und Serien-Kenntnisse für den 100%igen Genuss noch nicht mal ausreichen! Einige Szenen und sogar Auftritte gehen entweder auf ikonische Comic-Cover, Comic-Storylines und deren Schöpfer oder gar die Gerüchteküche rund um das MCU zurück. Auf vermeintliche Insider-Informationen oder lediglich geplante Projekte wird ebenfalls stark eingegangen. Ich halte mich zwar für ziemlich sattelfest, was MARVEL angeht, aber bestimmt hat nicht jeder Zuschauer rund 4.500 Comics (Tendenz steigend) und (fast) jede Film-Produktion (Tendenz fallend) des Studios in den Schränken stehen.

Buddy-Movie

Besonders loben muss man hingegen die Chemie der beiden Hauptdarsteller. Reynolds und Jackman harmonieren perfekt und man merkt dem ungleichen, ziemlich unverwundbaren Duo die Spielfreude in jeder Szene an. Zusammen mit Regisseur Shawn Levy, mit dem Ryan Reynolds bereits „Free Guy“ und „The Adam Project“ und Hugh Jackman „Real Steel“ drehten, bilden sie ein klasse aufeinander eingespieltes Trio-Infernale. Kein Wunder, sind die drei doch auch abseits des Hollywood-Geschehens bestens miteinander befreundet. Ebenfalls hat mir Emma Corrin, bekannt aus der Serie „The Crown“, als Cassandra Nova sehr gut gefallen. Herrlich schräg und in ihrer ganz eigenen Art unberechenbar. Eine Bereicherung für den Film, auch wenn der Charakter nicht zwingend Großes offenbart.

Eine kleine Szene, die fast beiläufig recht früh im Film gezeigt und später mehrmals in Dialogen aufgegriffen wird, hat mich besonders neugierig gemacht. Hier stellt sich die Frage, ob da schon etwas Foreshadowing betrieben wird, denn passend zum Kinostart von „Deadpool & Wolverine“ wurde auf der San Diego Comic-Con (SDCC) der aktualisierte MCU-Fahrplan vorgestellt. Und der endete mit einem wahren Paukenschlag! Im Mai 2027 wird mit „Avengers: Secret Wars“ der sechste Teil der Helden-Reihe erscheinen, was so weit schon bekannt war. Ein Jahr vorher, genauer gesagt Ende April 2026, soll aber der fünfte Film erscheinen, der nun aus inhaltlichen Änderungsgründen nicht mehr der den Untertitel „The Kang Dynasty“ trägt. Der Titel lautet nun offiziell „Doomsday“ und rückt den von Fans sehnlichst erwarteten Auftritt von Doctor Doom in den Fokus. Und der wird von niemand Geringerem gespielt, als Ex-Iron Man Robert Downey Jr.! RUMMS!!! Die Zeit wird zeigen, wie die Rolle des Victor von Doom mit der des Tony Stark korreliert, aber die Spekulationen lassen den Comic-Markt auf den diversen Verkaufsplattformen schon mal ordentlich wackeln, da es in der Comic-Geschichte bereits Parallelen zwischen den beiden Charakteren gab. Beide kommenden „Avengers“-Filme werden erneut von den Brüdern Anthony und Joe Russo inszeniert, denen wir schon „Infinity War“ und „Endgame“ verdanken.

„Deadpool & Wolverine“ bleibt 2024 der einzige MCU-Streifen, doch schon 2025 gehen Disney und MARVEL wieder in die Kino-Offensive. Neben „Captain America: Brave New Word“, dessen Trailer mit Polit-Thriller-Anleihen freudig an „The Return of the First Avenger“ aka „Captain America: The Winter Soldier“ erinnern lässt, stehen auch „The Fantastic Four: First Steps“ und „Thunderbolts*“ (aus dem * im Titel macht MCU-Mastermind Kevin Feige noch ein großes Geheimnis) sicher an

Fazit

Die-Hard-MARVEL-Fans werden aus dem Häuschen sein, denn es gibt in „Deadpool & Wolverine“ tonnenweise Details zu entdecken. Pech für die Otto-Normal-Zuschauer. Die dürfen sich aber an handfester Action und einigen gut choreographierten Fights erfreuen. Zwar sitzt nicht jede Einstellung perfekt, was gerade bei Keilereien mit mehreren Parteien auffällt, aber Einfallslosigkeit kann man hier keinem vorwerfen. Eine ordentliche Härte mit derben Slapstick-Einlagen und einigen ikonischen Einstellungen. Wer die dünne Story weglächeln kann, bekommt einen wilden Zwei-Stunden-Ritt im halsbrecherischen Tempo.

Wertung: 7

Bilder: © Disney

 

Neue Kommentare

Loading

Neu im Forum

Loading

Lieblingsfilm
und Lieblingsserie

Nicht zuletzt durch den Erfolg der Streamingdienste ist die Anzahl von Serien und Filmen im TV enorm gestiegen. Auch aus dem Comic-Umfeld ist vieles dabei. Habt ihr derzeit einen Lieblingsfilm oder eine Lieblingsserie? Oder gibt es sogar einen "All-Time-Favorit" - einen Film oder eine Serie, die ihr immer wieder schauen könnt?

zum Forum