Ein phantastisches Vermächtnis
Happy Birthday, Nola
Um aus unserer Realität auszubrechen – und wer wünscht sich das besonders in der aktuellen Situation nicht… - steigen manche in einen magischen Wandschrank. Andere nehmen den Zug auf Gleis 9 ¾. Oder folgen einem weißen Kaninchen in seinen Bau. Und sollte man in Kansas wohnen, lässt man sein Haus einfach von einem Wirbelsturm wegtragen und parkt es dann auf der schrumpeligen Hexe des Ostens. Ihr seht, Möglichkeiten gibt es genug…
Die achtjährige Nola hat aber weder einen Wandschrank, noch eine Bahn-Card, kennt keine hektischen Kaninchen und wohnt auch nicht in Kansas. Dafür hat sie aber eine Spieluhr. Keine gewöhnliche, nein… eine magische Spieluhr. Nicht wissend, was dieses Erinnerungsstück zu vollbringen vermag, hat ihr Vater Nola die Spieluhr zu ihrem Geburtstag geschenkt. Sie gehörte einst ihrer Mutter, die… die nicht mehr da ist… und von Nola und ihrem Vater Martin schmerzlich vermisst wird. Kein Wunder also, dass das Mädchen das Geschenk sofort wie einen Schatz an sich presst. Am Abend, als sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hat, nimmt Nola ihren Schatz genauer unter die Lupe. Sie zieht die Spieluhr auf und lauscht ihrer Melodie. Doch… was ist denn da im Inneren der Glaskugel? Das sieht aus wie… nein, das kann nicht sein… oder? Nola knipst die Lampe an und erblickt tatsächlich das, was sie gerade noch dachte, sich eingebildet zu haben: Ein Mädchen. Da ist wirklich ein Mädchen unter der Kuppel! Sie steht im Schneegestöber. Ruft etwas. Nimmt schließlich einen Stock und schreibt etwas in den schneebedeckten Boden… „HILFE“
Die andere Seite
Das Mädchen in der Spieluhr gibt Nola die Anweisung, dass sie den Schlüssel drehen soll. Da sie mindestens ebenso neugierig wie hilfsbereit ist, tut sie dies. Wie auf Knopfdruck schrumpft Nola, sodass sie problemlos durchs Schlüsselloch der Spieluhr passt. Im Inneren erwartet sie das hilfesuchende Mädchen. Sie stellt sich als Andrea vor und begrüßt den Neuankömmling wie eine alte Freundin. Außerdem spricht sie sie mit dem Namen Annah an. So hieß… Nolas Mutter. Doch für Erklärungen bleibt kaum Zeit, da Andrea dringend Hilfe benötigt. Ihre Mutter erlitt einen Ohnmachtsanfall. Hektisch zerrt Andrea Nola durch die Gassen von Pandorient. Moment… Pandorient? Was ist das für ein wundersamer Ort? Eine farbenprächtige Welt. Eine Welt in einer Spieluhr, in der Feen umherschwirren, Trolle und andere Fabelwesen durch die Straßen laufen, als wäre es das normalste der Welt…
Keine Zeit, keine Zeit. Keine Zeit zum Wundern oder um unter den Nägeln brennende Fragen zu stellen. Als sie das Haus von Andreas Familie erreichen, krümmt ihre Mutter sich vor Schmerzen. Auch sie hält Nola für Annah. Und so erfährt sie, dass ihre Mutter ebenfalls Pandorient besuchte. Nicht nur einmal. Sie und Andreas Mutter waren lange Zeit befreundet und erlebten gemeinsam etliche Abenteuer in dieser wundersamen Welt. Doch Nolas Mutter war nicht mehr da. Konnte mit ihrer Krankenschwester-Erfahrung nicht helfen…
Da der Heilologe – wie Ärzte in Pandorient genannt werden – momentan alle Hände voll zu tun hat, krempelt Nola die Ärmel hoch und nimmt die Sache selbst in die Hand. Es müssen heilende Kräuter beim Kräutermann besorgt werden und es gilt herauszufinden, was Andreas Mutter krank gemacht hat. Und vielleicht erfährt sie ja so noch mehr über ihre Mutter, die die versteckte Welt Pandorient vor ihrer Familie geheim hielt…
Kinder-Fantasy mit Wohlfühl-Faktor
Wenn es um die Erschaffung neuer Welten geht, ist es sowohl an Autoren als auch an Künstlern, diese glaubwürdig rüberzubringen. Naja, zumindest so glaubwürdig, dass man darin eintauchen kann. Dies gelingt mit „Die magische Spieluhr“ mühelos. Die französische Autorin Bénédicte Carboneill, die unter dem Künstlernamen Carbone schreibt, war zunächst Lehrerin und Rektorin, bevor sie das Schreiben für sich entdeckte. Sie verfasste mehrere Kinderbücher, darunter „Der Lesewolf“ (Midas), bevor sie sich den Comics zuwandte. Dort debütierte sie mit „Le Pass'Temps“, welches sie gemeinsam mit der Zeichnerin Ariane Delrieu umsetzte. Für „Die magische Spieluhr“ arbeitet Bénédicte Carboneill mit dem belgischen Comic-Künstler Jérôme Gillet, kurz Gijé, zusammen. Und wenn man sich den ersten Band „Willkommen in Pandorient“ anschaut, kann man die beiden getrost als Dream-Team bezeichnen.
Das Buch hat das Herz definitiv am richtigen Fleck, ist bewegend, humorvoll und sprüht über vor Fantasie. Die liebenswerten Charaktere können die Leser – egal, ob jung oder alt – bereits in Rekordzeit für sich gewinnen. Das liegt zu einem großen Teil auch Gijés wunderbaren Illustrationen. Knuffig, sympathisch und mit einem ordentlichen Cartoon-Touch versehen, sind nicht nur die märchenhaften Wesen in Pandorient spielend zugänglich, sondern auch die menschlichen Vertreter, die eine Menge Wärme ausstrahlen. Dafür sind ebenfalls die leuchtenden Farben verantwortlich, die stets die richtige Stimmung wiederspiegeln. Mal die wohlige Beleuchtung in Nolas Elternhaus, dann das kühle Blau beim Blick in die magische Spieluhr und schließlich die volle Regenbogen-Palette im einladenden Wunderreich Pandorient.
Fazit:
In diese wunderschön gestaltete Welt werden sich nicht nur junge Leser gerne entführen lassen. Nach „Der Club der drei Schwestern“ eine weitere dicke Empfehlung aus dem toonfish-Imprint des Splitter Verlags!
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